Von 1961 bis 1968 baut Ludwig Mies van der Rohe in West-Berlin eine Ikone der modernen Architektur: die Neue Nationalgalerie. Mit der Zeit lassen Spannungen aus der Konstruktion Glasscheiben platzen. Zugleich wächst im Museumsbetrieb der Bedarf nach neuer Ausstellungstechnologie und einem Museumsshop. 2017 gewinnt die Stadt Berlin David Chipperfield für die Restaurierung des Baus. Als Aufgabe stellt sie ihm: keine eigenen Spuren zu hinterlassen.
Adresse/Anfahrt
Neue Nationalgalerie Berlin
Potsdamer Str. 50
10785 Berlin
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Das weitläufige Untergeschoss der Neuen Nationalgalerie behaust die Sammlungspräsentation des Hauses und gewährt Zugang zum Skulpturengarten.
Die originalen Stoßgriffe, wie von Mies van der Rohe bestimmt, werden durch Sonderanfertigungen von FSB ergänzt und damit der aktuellen Brandschutzordnung gerecht.
„Dem Bauherrn war es wichtig, dass derjenige, der das Projekt übernimmt, Mies van der Rohe nicht herausfordert. Im Gebäude ist nur für einen Architekten Platz. Das mag bescheiden klingen, ist es aber nicht – es ist offensichtlich.“
‚Weniger ist mehr‘ – so lautet Mies van der Rohes bekannte Maxime. Ihr folgt auch die Architektur des Museums. Mies van der Rohe plant das Museum als zweiteiliges Gebäude. Er konzipiert eine tempelartige Halle und ein Sockelgeschoss, das die eigentlichen Ausstellungsräume beinhaltet.
Ihre Atmosphäre entfalten die einfachen Räume im Sockelgeschoss durch das Zusammenwirken mit dem sich anschließenden Garten. Er liegt wie abgeschieden von der Großstadtwelt. Dagegen wendet das Gebäude sich der Stadt mit umso größerer Offenheit zu. Sein Herzstück ist die vollkommen stützenfreie und vollständig verglaste 9 Meter hohe Halle. Wer das Museum betritt, durchschreitet sie.
David Chipperfield hebt die Bedeutung des Plans in Mies van der Rohes Arbeit hervor. Während mancher Bau es ohne Weiteres erlaube, etwa zeitgemäße Erschließungssysteme oder Toiletten einzubauen, da die Architektur vor allem durch das Erleben der Raumfolge wirke, entfalten die Grundrisse von Mies van der Rohe Kunstwerkcharakter. In behutsamer Abwandlung des Plans erhält die Neue Nationalgalerie durch die David Chipperfield Architects eine barrierefreie Außenrampe und einen Aufzug. Der größte räumliche Eingriff im Zuge der Sanierung wird die Umnutzung ehemaliger Depotflächen als Garderobe und Museumsshop. Wie kann es gelingen, diese vom Bestand abzugrenzen, ohne eine eigene Signatur ins Spiel zu bringen? Diese Herausforderung nehmen die David Chipperfield Architects zur Gelegenheit, die Maxime ‚Weniger ist mehr‘ selbst anzuwenden: Sie legen die strukturierte Sichtbetondecke der alten Depoträume frei. Damit geben sie seltene Einblicke in die von Mies van der Rohe ursprünglich kaschierte Konstruktion.
Gemäß dem Ansatz, möglichst viel Ursprüngliches zu erhalten und auch die entstandene Patina zu bewahren, wird bei einer Vielzahl von Türen der Original-Drücker aus den 1960er-Jahren wieder eingebaut. Gemeinsam wird ein Griff entwickelt, der altersschwache Beschläge ersetzen kann. Als Sonderlösung für die Fluchttüren entsteht das Design FSB 1045 als senkrecht stehender Standflügeltürdrücker mit grün ausgelegtem Pfeil. Die Türen in den Sanitäranlagen werden ausgestattet mit dem speziell angepassten Modell FSB 1015 mit individuell ausgewählten Rosetten auf der Innen- und Außenseite. Die Original-Türgriffe der Neuen Nationalgalerie von 1968 basieren auf Modellen für den ITT-Campus in Chicago, wo Mies van der Rohe auch die berühmte S. R. Crown Hall für die Architekturfakultät entwirft.
Mit der Sanierung durch David Chipperfield Architects zieht die Garderobe ins Untergeschoss um und macht dem Publikum zuvor nicht öffentliche Räume zugänglich.
Die Sanierung von Bestand bietet meist wenig sichtbaren eigenen Gestaltungsspielraum. Ihre Prämissen lauten häufig: Energieeffizienz, Barrierefreiheit und Feuerschutz. Über ihnen schwebt zusätzlich Gefahr: Architektonische Zugaben pragmatischer Art können dem Sanierungsobjekt ästhetisch leicht zum Verhängnis werden.
Der viel gelobte Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin lässt die David Chipperfield Architects für das neue Sanierungsprojekt umso prädestinierter erscheinen. Vorsichtig und diplomatisch bringen sie dort in der Zeit um 2009 historische Richtigkeit und zeitgemäße fachplanerische Erfordernisse in Übereinstimmung. Ihre feinfühlige Vermittlung zwischen Alt und Neu erntet Anerkennung.
Auch für Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie heißt es: den ursprünglichen Entwurf möglichst schützen und dennoch Raum für die Fachplaner:innen schaffen, die Leistung des Gebäudes mit zeitgemäßen Mitteln zu verbessern. So werden rund 35.000 Original-Bauteile – darunter 2.500 Quadratmeter Natursteinplatten – demontiert, restauriert und wieder eingebaut. 1.600 Quadratmeter Glas werden ausgetauscht, um den Bau energetisch und bautechnisch zu rüsten. Um bei der Einfachverglasung zu bleiben, wird ein Verbundsicherheitsglas von 2 × 12 Millimetern Dicke verwendet. Die schlanke Erscheinung des Mies-van-der-Rohe-Baus kann auf diese Weise überdauern.