Im 16. Jahrhundert wird ein 152 Meter langes Gebäude am Markusplatz in Venedig als Amts- und Wohnsitz der Prokuratoren erbaut. Die Procuratie Vecchie werden durch ihre prächtige Platzfassade weltbekannt. Nach Jahrhunderten stellt sich Sanierungsbedarf ein – und ein Entschluss: Erstmals in ihrer Geschichte sollen sie öffentlich zugänglich werden. 2017 bis 2022 nimmt sich das Mailänder Büro der David Chipperfield Architects ihrer Sanierung an.
Adresse/Anfahrt
Procuratie Vecchie Venedig
Piazza San Marco, 105
30124 Venice
Anfahrt
„Die Reparatur, Wiedervereinigung und Anpassung der vielen Schichten dieser historischen Struktur war eine hochkomplexe und lohnende Herausforderung, die uns die Kraft der Architektur sowohl als physische Substanz als auch als Prozess der Zusammenarbeit wieder vor Augen führt.“
Die Procuratie Vecchie begrenzen den Markusplatz nordseitig. Sie bilden den ältesten Teil des Gesamtkomplexes der Prokuratien und zählen zu den wichtigsten Bauten der frühen Renaissance-Architektur in Venedig. Mehrere Architekten, allen voran der aus Florenz stammende Jacopo Sansovino prägen ihre Gestalt. Hinter ihren Mauern sollen die mächtigen Prokuratoren über Fragen der Stadtverwaltung, Bauaufträge und Finanzen im Venedig der Renaissance entscheiden. Seit ihrem Bau sind die Prokuratien der allgemeinen Öffentlichkeit rund 500 Jahre lang verschlossen.
1831 blickt schließlich die Generali-Versicherung ihrer Gründung entgegen und mietet sich in dem historischen Gebäude ein. Im Laufe der Zeit kauft sie die alten Prokuratien an. So ist die Generali-Versicherung 2017 nicht nur Bauherrin des Restaurierungsprojekts, sondern auch durch eine lange Geschichte mit dem Gebäude verbunden.
Das Mailänder Büro der David Chipperfield Architects wird mit zwei Aufgaben betraut: Die David Chipperfield Architects sollen das Gebäude sanieren und sie sollen darin Räumlichkeiten schaffen für die unternehmenseigene Stiftung ‚The Human Safety Net‘. Folglich werden im ersten und zweiten Obergeschoss die Büros der Generali-Versicherung saniert. Und im Dachgeschoss entstehen Ausstellungsräume für die Stiftung, ein Auditorium, ein Café, eine Bibliothek sowie Treffpunkte und öffentlich nutzbare Arbeitsbereiche.
Prägender Teil der behutsamen baulichen Eingriffe ist ein neues Treppenhaus zur Erschließung des neu gestalteten Dachgeschosses. Die Treppe mündet in einem neuen ‚Central Pavilion‘. Er liegt zentral zwischen den Höfen des Baus. So kann er für Licht im Treppenhaus sorgen und zu den zwei angrenzenden Dachterrassen vermitteln. Die als Enfilade hintereinandergeschalteten Räume des Dachgeschosses machen die Länge des vertikal organisierten Baus erstmals von innen erlebbar.
Die David Chipperfield Architects legen das Ziegelmauerwerk der ursprünglich rein konstruktiv angelegten Wände frei. Sie fügen hohe Kunststein-Portale ein. Mit ihrem runden Abschluss greifen die Kunststein-Portale die Bögen der Fassade auf und inszenieren die Länge des Raums. Auffällig ist der bewusste Einsatz traditioneller Materialien und Techniken. So erhält die eingebaute kantige Treppe aufwendig bearbeitete Kalkspachtel-Oberflächen und Terrazzo-Stufen. Für die Böden kommen noch weitere historische Techniken wie Cocciopesto oder Pastellone zum Einsatz.
Für Türen und Fenster kann David Chipperfield bei diesem Projekt auf ein eigenes Griff-Design zurückgreifen. Das Modell FSB 1004 ist sein eigener Entwurf. Das Modell wahrt das Schlichtsheitsideal der Moderne und fügt sich damit ideal in den historischen Kontext der Procuratie Vecchie ein. Verbaut werden die Griffe in Bronze, dunkel patiniert und gewachst. Seit April 2022 sind die Räume der Stiftung im Dachgeschoss der Prokuratien geöffnet. Unter anderem ist die interaktive Dauerausstellung „A World of Potential“ zu sehen, die sich mit sozialen Kompetenzen und neuen Technologien befasst.