Am Krampnitzsee nahe Potsdam entdecken die Architekten Arno Brandlhuber, Markus Emde und Thomas Burlon eine leerstehende Trikotagen-Fabrik aus DDR-Zeiten. Der Betonbau wird zum Gegenstand und zum Inbegriff ihrer Beschäftigung mit dem Bauen im Bestand. Sie untersuchen die Substanz des Gebäudes, erneuern Betonkern und Dach und denken über Wohntheorien nach. 2014 ist die Verwandlung des Fabrikbaus vollbracht. Sie nennen ihr Werk: Antivilla.
„Es ist eine Schönheit, deren Ursprung in der Idee liegt, die hinter dem minimalinvasiven Umbau steht. […] Wir müssen uns von eingeübten ästhetischen Bildern lösen, um auch radikalere Denkansätze verfolgen zu können, die den Fokus auf die Nutzung setzen.“
Der Architekt Arno Brandlhuber und seine Partner Markus Emde und Thomas Burlon formulieren mit ihrer Antivilla eine ‚Kritik der bürgerlichen Wohnung‘. Ihre Untersuchung der Substanz ergibt, dass der alte Fabrikbau in weiten Teilen intakt ist. Baurechtlich stellen sie fest, dass seine Fläche von 500 Quadratmetern die für einen Neubau zulässige Größenordnung deutlich übersteigt und also ein Neubau auf eine Verkleinerung hinauslaufen würde. Über die Geschichte des Gebäudes bringen sie in Erfahrung, dass zu DDR-Zeiten hier Miederwaren gefertigt werden. Das Gebäude ist ehemaliger Teil des VEB Obertrikotagenbetriebs in Wittstock, dem der Filmemacher Volker Koepp eine sieben Teile und 23 Jahre umspannende dokumentarische Langzeitbeobachtung widmet. So kommt die Frage auf: Warum ein Gebäude mit Geschichte zerstören, um mit viel Aufwand ein neues hinzustellen?
Statt des Abrisses visieren die Architekten schließlich die minimalinvasive Umnutzung an. Die Geringhaltung des Aufwands wird dabei zur Gelegenheit, gängige Wohnansprüche zu überdenken. Ausgehend von der Beobachtung, dass Lebensräume sich im Sommer ausdehnen und bei Kälteeinbruch verkleinern, konzipieren sie eine thermische Zonierung. Isolierende Vorhänge dämmen eine Fläche von ca. 75 Quadratmetern ab: eine Wärmezone, in die sich die Nutzung im Winter zurückzieht. Zu diesem Zweck konzentrieren sich alle wichtigen Funktionen im zentralen Betonkern: Küchenzeile, Nasszelle und eine Sauna, die als Wärmequelle fungiert.
Die vier großen Fensteröffnungen Richtung See und Wald entstehen als Resultate einer Gemeinschaftsaktion: Sie werden auf Einladung von Arno Brandlhuber von einer Gruppe von Freunden nach freiem Ermessen mit dem Vorschlaghammer aus den Wänden herausgebrochen. Den Wandöffnungen widerfährt weder Korrektur noch Begradigung, nur große Scheiben werden ihnen vorgesetzt. Den performativen Akt der Aneignung des See- und Waldblicks halten die rohen Kanten als Kraftakt präsent.
In der Antivilla begegnen noch weitere Andeutungen des Weggelassenen an Boden und Wänden: Es gibt ein Werk der Künstlerin Karin Sander, das ein Stück Raufasertapete involviert. Und es gibt eine Arbeit des Künstlers Gregor Hildebrandt, die mit zusammengeklebten Tonbändern ein imaginäres Parkett formiert.
Diese Atmosphäre des ‚Unfertigen‘ setzt sich in der rohbauhaften Ästhetik der Antivilla fort. Ihre Wandlung vom Fabrikbetrieb in ein Atelier- und Wochenendhaus ist nicht Ergebnis der Festlegung einer neuen Nutzung, sondern vollzieht sich im Öffnen der Räume für mögliche Nutzungen. Ein solches Element des Unvorhergesehen ist auch in den Griffen präsent: An den Türen der Antivilla sind Griffe des Modells FSB 1045 verbaut, an den Eingangstüren in der verkröpften Variante FSB 06 1045. FSB 1045 ist eine Return-Variante von FSB 1015, einem Griff, der eine fast 90-jährige Geschichte trägt. Mit dem Griff-Modell FSB 34 1015 im Design von Johannes Potente lassen sich in der Antivilla die Fenster mit der umwerfenden Aussicht öffnen. Das unbehandelte Aluminium, das die Architektengemeinschaft Brandlhuber+ Emde, Burlon für alle Griffe wählt, wird durch Witterungseinflüsse im Laufe der Zeit stumpf hellgrau und dunkelt nach. Die Patina fügt sich unauffällig und schlüssig in die roh wirkenden Betonräume ein. Denn hier bildet alles ein großes, vielseitig bespielbares Grau, die Alufensterrahmen, die grau lackierten Holztüren und nicht zuletzt der alte DDR-Beton.