Der Architekt Jürgen Mayer H. im Interview
Komplizenschaft mit dem Bauverantwortlichen

Er ist einer der bedeutendsten deutschen Architekten der Gegenwart:

Jürgen Mayer H. baut Häuser, die oftmals auf dreidimensionalen, organischen Strukturen beruhen und sich an der Schnittstelle zu Kunst, Design und neuen Technologien bewegen. Der gebürtige Stuttgarter ist ein Pendler zwischen den Welten, dessen Arbeiten auch in Galerien und Museen wie dem MoMA ihren Platz finden. Wir sprachen mit dem in Berlin lebenden Gestalter über Architektur als Aktivator, seine ersten Erfahrungen mit Bauverantwortlichen und das Kopieren des eigenen Werks.
Foto der Autobahnraststätte in Gori, Georgien, entworfen von Jürgen Mayer H. Foto von Jesko M. Johnsson-Zahn.
Autobahnraststätte in Gori, Georgien, entworfen von Jürgen Mayer H.
© Jesko M. Johnsson-Zahn

Wer war dein:e erste:r Bauverantwortliche:r?

Das erste gebaute Projekt ist das Stadthaus Scharnhauser Park in Ostfildern, das wir durch den Gewinn eines internationalen Wettbewerbs bekommen haben.

Wie konntest Du damals, ohne gebaute Referenzen, an dem Wettbewerb teilnehmen?

Über ein Losverfahren, das damals üblich war und mit dem man die teilnehmende Architekt:innenzahl in einer ökonomischeren Relation halten wollte. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich in den 1990er europaweit mehrere hundert Architekt:innen an so einem Wettbewerb beteiligten. Zu den neun gesetzten Teilnehmer:innen wurden 21 weitere hinzugelost. Das funktionierte damals noch unkompliziert per Fax: Ich musste den Auslober:innen meine Kammerzulassung und eine Interessensbekundung schicken, das war es dann auch schon. Und so schaffte ich es ich in das Verfahren und kam zu meinem ersten Bauvorhaben.

Luftaufnahme des Metropol Parasol in der Altstadt von Sevilla (2004-2011) entworfen von Jürgen Mayer H. Foto von David Franck.

Metropol Parasol in der Altstadt von Sevilla (2004-2011), 1. Preis in einem internationalen Wettbewerb.

© David Franck

Foto der Überdachung des Plaza de la Encarnacion mit einer überdimensionalen Schirmstruktur. Foto von David Franck.

Die Überdachung der Plaza de la Encarnacion mit einer überdimensionalen Schirmstruktur ist Teil der Neugestaltung des Platzes.

© David Franck

Wie würdest Du das Verhältnis zwischen Architekt:in und Bauverantwortlichen beschreiben?

Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal gibt es sofort eine Komplizenschaft, in der man gemeinsam die Neugier an der Architektur beschreiten möchte. Und manchmal ist es ein behutsamer Annäherungsprozess, bei dem man sich gegenseitig fordert und der einen dann über die gesamte Projektlänge zusammenbringt. Am Ende entwickelt sich jedoch immer eine enge und intensive Zusammenarbeit mit den Bauverantwortlichen.

Setzt ihr euch Ziele bei der Zusammenarbeit mit den Bauverantwortlichen?

Das Ziel ist es immer, das beste Projekt aus der jeweiligen Situation zu entwickeln: gestalterisch, ökonomisch und auch von der Wissenserarbeitung, wie wir es nennen. Für uns stellt jedes Bauvorhaben die Chance dar, neue Entwurfs- und dadurch auch neue Produktionsmethoden zu entwickeln. Aber in erster Linie muss das Gebäude natürlich funktionieren und – durch seine Architektursprache – eine individuelle Aussagekraft bekommen. Das ist eine Art Trial-and-Error-Prozess, der auf bestimmte Parameter setzt, Recherche und Forschung nutzt, aber oft auch intuitiv gesteuert wird. Und die Bauverantwortlichen sind wichtigster Teil dieses Prozesses.

„Das Ziel ist es immer, das beste Projekt aus der jeweiligen Situation zu entwickeln: gestalterisch, ökonomisch und auch von der Wissenserarbeitung, wie wir es nennen.“

Jürgen Mayer H.

Porträt des deutschen Architekt Jürgen Mayer H. von Tom Wagner.

Der Architekt Jürgen Mayer H.

© Tom Wagner

Foto des ersten Projekts von Jürgen Mayer H.: Stadthaus Scharnhauser Park in Ostfildern (1998-2002). Foto von David Franck.

Das erste Projekt von Jürgen Mayer H.: Stadthaus Scharnhauser Park in Ostfildern (1998-2002), 1. Preis in einem internationalen Wettbewerb.

© David Franck

Was waren rückwirkend betrachtet deine wichtigsten Erlebnisse mit Bauverantwortlichen?

Das war zum einen die Möglichkeit, an dem Wettbewerb zum Stadthaus Scharnhauser Park bei Stuttgart teilnehmen zu können und das Gebäude dann auch bauen zu dürfen – ohne den Bauverantwortlichen realisiertes Gebäude als eigene Referenz vorlegen können. Diese Form des demokratischen Vergabeprozesses stellte die Weichen für das Büro. Dann kam Sevilla und das Projekt Metropol Parasol: In einer historischen Innenstadt, inmitten des UNESC Weltkulturerbes und auf römischen Ausgrabungen ein so besonderes zeitgenössisches Bauwerk zu planen, und das auch realisiert wurde, war eine einzigartige Erfahrung. Und auf jeden Fall Georgien, wie wir akkupunkturartig und über das ganze Land verteilt kleine, mittlere und große Projekte realisierten und damit die Aktualisierung des Landes mitgestalten konnten. Dabei ist jeweils das Erleben und Teilhaben an einer anderen Kultur wahrscheinlich der größte Gewinn.

Foto des Grenzüberganggebäudes in Sarpi, Georgien, entworfen von Jürgen Mayer H. Foto von Jesko M. Johnsson-Zahn.

Grenzübergang in Sarpi, Georgien (2010-2011)

© Jesko M. Johnsson-Zahn

Foto des Flughafengebäudes für den Queen Tamar Airport in Mestia, Georgien, im Schnee. Foto von J. Mayer H.

Flughafengebäude für den Queen Tamar Airport in Mestia, Georgien (2010)

© J. Mayer H.

Foto des Justizgebäude in Mestia, Georgien, entworfen von Jürgen Mayer H. Foto von Jesko M. Johnsson-Zahn.

Justizgebäude in Mestia, Georgien (2011-2012)

© Jesko M. Johnsson-Zahn

Foto der Autobahnraststätte in Gori, Georgien, entworfen von Jürgen Mayer H. Foto von Jesko M. Johnsson-Zahn.

Autobahnraststätte in Gori, Georgien (2009-2011)

© Jesko M. Johnsson-Zahn

Wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit dem Staat Georgien und seinem Präsidenten Micheil Saakaschwili?

Der erste Kontakt kam über unser Projekt Metropol Parasol in Sevilla. Georgien wollte ein ähnliches Kultur-Outdoor-Museumsprojekt in seiner Hauptstadt Tbilisi realisieren. Der Bau wurde dann zwar aus verschiedenen Gründen von einem anderen Architekten entworfen und gebaut, aber den Verantwortlichen hatte unser Entwurf und die Herangehensweise so gut gefallen, dass es der Startschuss für eine Reihe anderer Projekte, wie den Autobahnraststätten, wurde. Innerhalb kurzer Zeit kamen immer mehr Bauverantwortliche aus Georgien auf uns zu – von Privatleuten über Firmen bis hin zu öffentlichen Institutionen.

Wie würdest du das Kapitel Georgien beschreiben?

Es ist ja noch nicht abgeschlossen: Momentan sind zwei weitere Autobahnraststätten, ein Bahnhof und ein Privathaus im Bau. Man kann miterleben, wie Hilfe zu bitten, weil es dann doch nicht so geworden sich dieses Land für die Zukunft rüstet, seine Infrastruktur erneuert und Strukturen schafft, die für uns so selbstverständlich erscheinen, wie Supermärkte, Polizeistationen, Rathäuser oder Flughäfen. Das sind alles Architekturen, die zum Funktionieren des Landes beitragen. Man muss auch sagen, dass, als wir in Georgien vor fast acht Jahren anfingen zu arbeiten, es einen ungeheuren Erneuerungsdruck und eine Dringlichkeit gab. Diese Prozesse haben sich mittlerweile etwas verlangsamt.

Foto des Mensagebäude „Mensa Moltke" für das Studentenwerk Karlsruhe, entworfen von Jürgen Mayer H. Foto von David Franck.

Mensagebäude „Mensa Moltke" für das Studentenwerk Karlsruhe (2004-2007), 1. Preis in einem internationalen Wettbewerb.

© David Franck

Foto des Innenraums der Mensa Moltke. Foto von David Franck.

Mensa Moltke, Innenraum

© David Franck

Wie stark hat denn Metropol Parasol die Wahrnehmung eures Büros verändert?

Das Projekt hat unser Profil international geschärft: vom skulpturalen Verständnis der Architektur bis hin zum Einsatz neuer Materialien und neuer Technologien. Der Bau zeigt aber auch, wie zeitgenössisches Bauen öffentlichen Raum anders beschreiben kann. Er schafft nicht nur einen Rahmen für die städtische Gemeinschaft, er ist auch deren Aktivator. Und das mitten im Stadtzentrum.

Kommen private Bauverantwortliche auf dich zu mit dem Wunsch einer Kopie eines deiner Projekte?

Das ist ja erstmal als Kompliment zu verstehen, und es passiert oft mit Metropol Parasol. Aber am extremsten ist es mit der Villa Dupli Casa: Wir bekommen fast monatlich Anfragen, von Südamerika über Afrika bis nach Australien. Es gab auch Versuche das Gebäude ohne unser Mitwirken zu kopieren, um uns dann doch nicht so gewordenes, wie es auf den Fotos aussah. Aber in Russland ist gerade tatsächlich ein Projekt in der Realisierung, die durch die Referenz zu Dupil.Casa entstanden ist.

Hast Du ein Problem damit, dich selber zu kopieren?

Wenn es ein besonderes Interesse an einem unserer Gebäude gibt, zeigt das ja, dass sich Menschen in dieser Architektur wiederfinden können. Am Ende wird es sowieso nie eine 1-zu-1-Kopie, weil sich all die Grundstücke und räumlichen Anforderungen nicht gleichen. Wir sehen so einen Prozess für ein neues Projekt als Ausgangspunkt, das sich selbstverständlich weiterentwickelt. Dass es dann „Entwurfsfamilien“ gibt, bei denen verschiedene Gebäude Verwandtschaften deklinieren, ermöglicht interessante Vergleiche.

www.jmayerh.de

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