Niclas Nuchte

Hommage an die Rotis

„Manchmal braucht es nicht mehr, um das Produkt wirken zu lassen.“

Hart und weich, kalt und warm

Niclas Nuchte

Problem: Eigentlich gibt es kein Problem, nur eine Aufgabe: Otl Aicher zu feiern. Die Herausforderung ist, hier etwas Neues zu erschaffen und nicht die üblichen Dinge wie Ausstellungen zu gestalten und Geburtstagswünsche zu formulieren. Warum ist Otl Aicher 2022 noch relevant, was macht seine Arbeit so wichtig und wie kann man sie in unser digitales Denken und Leben übersetzen?

Nutzer:innen: Die Zielgruppe ist definitiv groß. Gestaltende, Politiker:innen, Geschäftsführende. Und das auch über mehrere Generationen. Ich als Gestalter habe da erstmal den Wunsch, mich auch an eine ähnliche Zielgruppe zu wenden. Also eher an junge Gestaltende.

Ziel: Es ist das Ziel, die Gedanken zur Relevanz von Otl Aicher und seinem Werk zu übersetzen. Visuell zu übersetzen. Otl Aicher war nicht nur Gestalter, sondern auch Philosoph mit konsequenten Denkweisen und Prinzipien.

Und so konsequent wie er dachte, so gestaltete er auch. Wir (als Team) ergänzen eine biographische Ausstellung zu Aichers Werk und Leben. Konkrete Pläne sind: Eine Schrift im Piktogramm-Raster und experimentell verformte Piktogramme zu entwerfen.

Als Aicher-Fan ist mir ein Ergebnis wichtig, welches die Relevanz Aichers würdigt und neugierig macht. Moderne Designs, interessant, erfrischend, mit Aicher als Vorbild (handwerklich und philosophisch). Aus Gestaltenden wieder Persönlichkeiten machen. Alle sind eingeladen, sich inspirieren zu lassen und neue unbekannte Gestaltungen zu erleben.

Zwischen Egoismus und Philosophie

Wer ist Otl? Was ist für mich wichtig? Otl Aicher war für mich, vor diesem Projekt, der Designer der Olympischen Spiele 1972 und der Piktogramme, die bis heute großen Nutzen finden. Doch Otl Aicher, so stellte sich heraus, ist sehr viel mehr.

Um an diesem Projekt zu arbeiten, muss ich die Person Otl Aicher verstehen. Ich möchte hier kurz die prägnantesten Merkmale notieren, die mir ganz persönlich einfallen:

Kein Freund von Kunst. Kein Schleimer. Ein Egoist. Kein Engel. Ein direkter Kerl. Aber auch ein Philosoph. Eine „Persönlichkeit“…

Und das möchte ich an der Person Otl Aicher wertschätzen. Kein bloßer „Anstreicher“ sein, sondern ein Handwerker mit Grips und Herz. Mir fällt es generell schwer, Kunden die Füße zu küssen und das möchte ich auch nicht ändern. Ein beidseitiger respektvoller Umgang ist wichtig.

Genauso wie es wichtig ist, den Kunden vertrauensvoll vom eigenen Können und Werk zu überzeugen und den Kunden auch die Chance zu geben, sich selbst zu verstehen und nicht verstehen zu lassen.

Frei aus der Hand heraus

Die Arbeiten liefern einen Einblick in die Gedanken, Konzeptionierung, Entwürfe und Entwicklungen des Projekts. Vom Anfang bis zum Ende. Dabei fallen alle möglichen Dinge an, die über den gesamten Zeitraum gesammelt wurden. Meistens beginnt alles mit einer Idee, die in Worte gefasst wird.

Rechts abgebildet ist die erste Ausarbeitung einer Idee: Die Permutation und das Einfärben von Piktogrammen. Permutation ist eine Design-Technik, die interessante und vor allem schematisch ergründbare Ergebnisse liefert.

Ziel dieser Idee war das Erzeugen von interessanten visuellen Bildern, die Aichers Piktogramme in neuer und unbekannter Form präsentieren, aber besonders als Grafikdesign-Objekt dienen und einen handwerklichen Effekt haben. Die Idee wurde verworfen, da der Effekt schnell ausgesaugt und die Ergebnisse unzureichend waren.

Erarbeiten erster Ideen: Die Modifizierung Aichers Piktogramme.
© Niclas Nuchte

Erste Layout-Entwürfe zur Festlegung von Richtlinien für verschiedene Elemente wie beispielsweise Format, Schrift und Satz (1).
© Niclas Nuchte

Erste Layout-Entwürfe zur Festlegung von Richtlinien für verschiedene Elemente wie beispielsweise Format, Schrift und Satz (2).
© Niclas Nuchte

Danach kam mir die neue Idee, eine Pixelschrift zu erstellen, um Aicher in die Digitalität zu befördern. Auf die Ausarbeitung der Idee, eine Schrift umzusetzen, folgten schon früh erste Layout-Entwürfe, um ein Gefühl für die spätere Abgabe zu bekommen.

Ich nutze solche Entwürfe besonders, um Richtlinien wie Format, Schrift, Satz usw. auszulegen. Es wurde mit Farben gespielt und mit unterschiedlichen Textmengen experimentiert.

Diese Phase ist Teil des konzeptionellen Prozesses, weil die Inhalte zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig waren. Diese Entwürfe helfen auch bei der Entwicklung der Dramaturgie.

„Hier!“

Für neue Kapitel kommen auf einladenden Doppelseiten vollflächig Bilder zum Einsatz. Diese stehen in Kohärenz zum Produkt, sind sie doch alle beim Kunden entstanden und haben mich inspiriert.

Der Balken links sorgt für einen interessanten Effekt, er bringt zunächst die Bildinformationen unter, lässt das Bild nicht im Bund versinken und stellt das Gleichgewicht zu den eingesetzten Quadraten her. Er führt die Seite vertikal an, wirkt griffig und macht die Komposition zwischen Bildaufteilung und Seite spannender - vollflächig muss nicht immer sein. Die Quadrate sind eine Anlehnung an Aichers Piktogramme.

Sie stehen auch stellvertretend für die Pixel, die das Grundelement der gestalteten Schrift sind. Ihre Dynamik bietet ein interessantes Spiel, welches sich auf weiteren Seiten verändert. Die laut und prägnant dargestellte Seitenzahl passt zum Ton des gesamten Produkts. Die satten Farben geben ein buntes und lebendiges Bild, angelehnt an die Olympischen Spiele 72. Die letzte Seite präsentiert die typografische Zeichenhaftigkeit, mit der im Projekt gearbeitet wurde. Schon die puren Buchstaben und Glyphen sorgen für ein aufregendes, rhythmisches und serielles Design. Manchmal braucht es nicht mehr, um das Produkt wirken zu lassen.

Neue Kapitel werden mit vollflächigen Bildern eingeleitet.
© Niclas Nuchte

Eine Illustration Aichers.

Am Ende stand dann tatsächlich ein Produkt. In diesem Fall ein Buch. Auf dem Titelbild der Seite ist ein Mockup zu sehen, dass den fast finalen Entwurf des Produktes zeigt.

Das Bild links zeigt eine Illustration, welche Aicher in berühmter Pose abbildet. Auch zu sehen sind Pfeile, die als Element im Buch auftauchen. Warum? Die Pfeile erzeugen zunächst eine Textur, durch ihre stempelartige Gestaltung. Pfeile sind Hinweisgeber und erzeugen Blickführung und Aufmerksamkeit. Mehrfach eingesetzt wirken sie provokant und laut.

Alles schreit „Hier!“. Dazu erzeugen die leicht gekippten Pfeile eine Dynamik, die die Seite bewegter macht.