Carolin Beckmann
viel zu sagen, mehr zu zeigen
„Und wenn auch nur eine Person ein Zitat besser oder auch anders versteht, ist mein Ziel mit diesem Werk erreicht.“
Das finale Konzept beschäftigt sich mit der Gestaltungsweise, den Designs, sowie den zahlreichen Zitaten, Aussagen und Schriftstücken von Otl Aicher. Der Designer traf viele Aussagen und hat dabei nicht nur durch Gestaltung kommuniziert, sondern auch Bücher geschrieben und Interviews gegeben. Seine Inhalte sind bis heute anwendbar und relevant. In der Illustrationszusammenstellung geht es darum, Aichers Arbeit zu würdigen und einfließen zu lassen, ohne sie zu dokumentieren oder zu kopieren. Vielmehr ist es eine Anerkennung, aufzuzeigen, was für eine Inspiration Otl Aicher, sein Leben, seine Ansichten und seine Arbeiten auch heute noch sind - und das nicht nur für Gestalter. Deshalb setzte ich mich mit seiner Art zu gestalten, seinem Stil und vor allem auch seinen Gedanken auseinander. Aicher war ein Mensch, der sehr wissbegierig war, viel las, Fragen stellte und noch mehr nachdachte.
Dies ermöglichte ihm, sich eine umfassende Sicht auf die Welt zu bilden und fundierte Aussagen zu verschiedenen Themen zu treffen. Mit diesen beschäftigte ich mich eingehend, wobei mir vor allem wichtig war, nicht nur bekannte und berühmte Worte von ihm zu verwenden.
Ich suchte auch nach Aussagen, die viel Interpretationsspielraum zulassen. Diese Zitate setzte ich gestalterisch in Szene. Teilweise grafisch und ganz im Sinne des direkten Kommunikationsdesigns, teilweise aber auch gegen Aichers Ansatz, dass Kunst und Design nicht zusammenpassen. Viele seiner Aussagen sind doppeldeutig und hätten durch ein klares Design an Aussagekraft verloren, deshalb ging ich bei einigen Entwürfen eher künstlerisch vor.
Farbgestaltung
Otl Aicher hat beispielsweise für die Gestaltung des Erscheinungsbilds der Olympischen Spiele 1972 auf die Farbe Rot verzichtet, vor allem in Kombination mit Weiß und Schwarz, um Gemeinsamkeiten mit der SS-Flagge auszuschließen. Es wird deutlich, wie sehr andere Bereiche und vor allem Politik seine Arbeit beeinflussten.
Ich lehnte die Farbpalette an die von Otl Aicher an. Hell- und Dunkelblau, Hell- und Dunkelgrün sowie Orange und Sonnengelb. Ich verwendete verschiedene Abstufungen sowie Verläufe für mehr Gestaltungsspielraum und Modernität. Eine edle Optik gibt die leicht grobe Struktur.
Hinzu kommen Schwarz und Weiß für mehr Kontrast und Kombinationsmöglichkeiten. Aicher gestaltete auch viel in Schwarz/Weiß, weshalb ich bei einigen Werken ganz auf Farbe verzichtete.
Zitatauswahl
Interessante Zitate zu finden, die zudem auch dem heutigen Zeitgeist entsprechen und zum Nachdenken anregen, war einfach. Schwieriger war es, Zitate auszuwählen, die sich gut visualisieren ließen und bei denen die Gestaltung einen Mehrwert bot.
Es gab Zitate, bei denen ich direkt einige Ideen hatte, bei anderen musste ich lange überlegen. Einige Zitate sollten für sich selbst stehen, sie brauchten kein Bild. Die Zitate sollten inspirieren und Interpretationsspielraum lassen.
Mein liebstes Zitat ist wohl das einfachste, aber auch kryptischste: „Nein, zu Fuß.“ Dieses Zitat, welches Aicher mehrfach in seinem Buch „Gehen in der Wüste“ nannte, interpretiere ich so, dass man manche Dinge auf die einfachste und dennoch schwierigste Weise lösen muss. Zu Fuß ist es aufwendiger, anstrengender und langsamer. Doch braucht man keine Hilfsmittel, sieht sehr viel auf dem Weg und hat die Zeit, bewusst zu gehen und zu sehen. Ich kann nur vermuten, dass Aicher diese Worte auf das Gestalten bezogen hat, aber ich beziehe sie auf den Prozess dahinter.
Oft macht man es sich viel zu schwer, denkt zu viel nach und verlässt sich auf die Technik. Das Zitat erinnert mich daran, einfach mal zu den Wurzeln zurückzugehen, sein Umfeld wahrzunehmen, zu schauen und dann mit Stift und Papier oder einfach im Kopf anzufangen. Das braucht Zeit und das ist in Ordnung. Wir sind schließlich zu Fuß unterwegs.
Formatauswahl
Ich wollte ein Format, das einfach und handlich ist. Allerdings sollte es trotzdem groß genug sein, um Einzelheiten der Illustrationen darzustellen und auch ermöglichen, dass man die Zitate aus einigem Abstand lesen kann. Da es sich allerdings nicht um Poster handelt, die auch bei mehreren Metern Entfernung noch lesbar sein müssen, sondern um etwas das z.B. auf einem Tisch steht, orientierte ich mich am gängigen A4-Format.
Ich kürzte die Höhe des Dokumentes auf 270 mm um und behielt die 210 mm in der Breite bei, da sie sich gut durch Bügelklammern oder eine Spiralbindung verarbeiten lässt. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, wie das finale Produkt aussehen wird und eine gängige Dokumentenbreite ließ mehr Möglichkeiten offen.
Titel und Cover
Ich hatte verschiedene Titel im Kopf. Alle sollten einen Gegensatz aufzeigen. Beispielsweise den Unterscheid zwischen Schrift und bildlicher Sprache oder den zeitlichen Unterschied zwischen der älteren Aicher-Schrift Rotis und der modernen Katarine. Ich entschied mich für den Titel „viel zu sagen, mehr zu zeigen“, als das gesamte Werk bis auf die Covergestaltung feststand. Der Grund dafür war, dass er meiner Meinung nach nicht nur die verschiedenen Möglichkeiten der Kommunikation zeigt, sondern auch noch einmal auf Aichers Charakter hinweist.
Er war Designer, hat also in erster Linie durch Gestaltung kommuniziert. Trotzdem hatte er auch viel zu sagen und tat dies beispielsweise in seinen Büchern. Otl Aicher zeigte, dass man gut in etwas sein kann (Zeigen = Gestalten) und trotzdem andere Dinge nicht vernachlässigen muss (Sagen = sich Meinungen zu anderen Themen bilden). Außerdem nutzte ich, als weitere kleine Hommage, auf dem Cover die für Aicher übliche „radikale Kleinschreibung“. Ich entschied mich für ein leicht angedeutetes blaues Hemd, mit rotem und weißem Stift und passenden Schriftfarben. Das blau ist eine typische Farbe für Hemden und wirkt freundlich, ohne zu professionell und gewöhnlich zu sein, wie es bei einem weißen Hemd der Fall gewesen wäre.
Zunächst wollte ich die Illustrationen in einem Buch zusammenfassen, doch ich befürchtete, dass es zu einem Buch werden könnte, welches man einmal durchblättert und dann im Regal stehen lässt. Da ich mich aktuell ohnehin sehr für Poster-Design interessiere, lag diese Variante der Produktion nah.
Letztlich entschied ich mich für ein „Mittelding“ aus Buch und Poster. Eine Art Tischkalender, der mit einem Maß von 210x270mm recht groß und ein echter Eyecatcher sein sollte. Mein Ziel war es, ein Board zu kreieren, das nicht nur aufrecht steht, sondern auch zusammenklappbar ist, um es transportieren zu können.
Ich probierte in einem Entwurf mit festem Papier, welche Formen tatsächlich stabil stehen und trotzdem flexibel faltbar bleiben. Die kalendertypische Spiralbindung wurde durch Bügelklammern ersetzt, da sie minimalistischer, hochwertiger und moderner wirken. Zudem sind sie widerstandsfähiger.
Letztendlich konzipierte ich das Board zusammen mit einer Verpackungsdesignerin. Zunächst wurde aus Graupappe ein Muster zu Funktionsüberprüfung gebaut, danach wurde das Flipchart umgesetzt. Ich wählte für die Illustrationen dickes Papier und ließ die Vorderseite kaschieren. Da die Seiten häufig angefasst und umgeblättert werden, könnte leichteres Papier oben an den Klammern einreißen oder durch das Umblättern an den Ecken einknicken.
Die leichte Kaschierung hält das Papier außerdem sauberer und strahlend weiß und verleiht einen leichten, hochwertigen Glanz. Es wurde 2 mm dicke schwarze Pappe verwendet und so eingeritzt, dass es sich falten und wie eine Mappe mitnehmen lässt. Am wichtigsten war mir aber, dass es einfach und stabil aufzustellen ist.
Der Aufsteller wäre auch in größeren Mengen kostengünstig und nachhaltig zu fertigen, da er aus einem Stück und einzig aus Pappe besteht. Die Klettverschlüsse auf der Rückseite bringen zusätzliche Stabilität. Die dunkle Pappe, die einen Rand um die Blätter bildet, schafft einen Kontrast zu den Illustrationen. Diese werden von zwei großen Bügelklammern aus Metall gehalten, die an die obere Kante eingebracht wurden und einfaches Umblättern erlauben.
Dinge so kommunizieren, dass sie verstanden werden
Das Projekt war eine Möglichkeit, aus meiner Komfortzone rauszukommen. Das heißt: Kein Minimalismus, keine Linearts, keine „Handwritten-Fonts“ in Verbindung mit Helvetica und kein Verlassen auf Bilder. Stattdessen wurde es bunt, alt und inspiriert, neu und anders und vor allem illustriert.
Ich nutzte vieles, was ich zuvor nie nutzte, weil ich bei dem oben Genannten genau wusste, dass ich es beherrsche und dass es funktioniert - auch, weil es gerade in Mode ist und demnach bei den meisten anstandslos Anklang findet.
Aichers Entwürfe hingegen sind weniger erklärend und weniger minimalistisch: Mehr Farben, mehr Formen, mehr von einer anderen Zeit. Otl Aicher hatte so strikte Vorstellungen und seine eigenen Regeln, dass ihm an dieser Hommage wohl kaum alles zusagen wird.
Doch genau darum geht's es doch auch in der Gestaltung: Dinge so zu kommunizieren, dass sie verstanden werden. Und wenn auch nur eine Person ein Zitat besser oder auch anders versteht, ist mein Ziel mit diesem Werk erreicht.