Justus Poggenburg
The physical Push-Pull
„Alle diese Teile (…) machten mir die Komplexität hinter den Mechanismen bewusst, die für mich bislang ganz selbstverständlich waren.“
Von selbstverständlich zu faszinierend
In dem Projekt „In and Out“ beschäftigten sich meine Projektkolleg:innen und ich mit Öffnungs- und Schließmechanismen, meist in Bezug auf türähnliche Objekte. Während der Recherche begegneten mir viele Situationen und Objekte abseits von Türen mit Öffnungs- und Schließfunktion, beispielsweise Garagen- und Schrankenanlagen.
Mein besonderes Interesse während der Recherche galt aber dem Container. Ich baute ein Container-Modell, um alle Komponenten der Öffnungs- und Schließmechanismen zu begreifen. Alle diese Teile – Türflügel, Stangen, Griffe, Klauen und deren Haltepunkte, die Scharniere, die an den Türflügeln und dem Behälter selbst befestigt sind, die Befestigungen für die Stangen und Schlösser für die Griffe und sogar die Dichtung, die man aufbrechen muss – machten mir die Komplexität hinter den Mechanismen bewusst, die für mich bislang ganz selbstverständlich waren.
Diese Erkenntnis übertrug ich auf die Situation einer Hauseingangstür. Erst identifizierte ich alle Komponenten, die mir zeigten, wie sie funktionieren und benutzt werden. Dazu zählen das Türblatt mit seinen Kanten, der Rahmen, der Griff und die Scharniere. Auch Klingel, Kamera und Gegensprechanlage können Teil des Prozesses sein. Dass es eine Art der Kommunikation bei Tür-Objekten (mit Öffnungs- und Schließmechanismen) gibt, war mir vor dem Projekt nicht bewusst, weil die Benutzung routiniert und als Automatismus gespeichert ist.
Und dort, wo es nicht sofort ersichtlich ist wie eine Tür öffnet oder schließt, werden Hinweise in Form von Aufklebern oder Schildern angebracht. All die erwähnten Komponenten und Kommunikationsaspekte sind visuell. Wir nehmen die Informationen durch das Sehen und Lesen auf, unser Gehirn verarbeitet sie. Es gibt nur einen Punkt, an dem wir eine physische Verbindung zur Tür haben: Wenn wir die Klinke drücken oder ziehen.
Da kam mir die Frage in den Sinn, welche den weiteren Verlauf meines Projekts beeinflusste:
Kann man die Information des Drückens und Ziehens intuitiv entschlüsseln, wenn man eine Verbindung zu einer besonderen Form, einem Material oder einer anderen Eigenschaft des Türgriffs herstellt?
Material, Form und Kommunikation
Ich begann mit einem Entwurf eines Griffs, der genau diese Informationen, also wie gedrückt oder gezogen werden soll, intuitiv kommunizieren sollte. Die ersten Ansätze hätten unterschiedlicher nicht sein können. Trotz gleicher Ausgangslage enthielt ein Ansatz mehr Informationen als der andere.
Die Version auf der rechten Seite zeigt eine bekannte Form des Türgriffs, der Hinweis des Drückens und Ziehens erfolgt hier durch unterschiedliche Materialien – ein hartes Material für die Stabilität und ein weicheres Material, welches die Druckfläche andeutet. Die Hand versinkt nahezu im Material und gibt so die Richtung der Bewegung vor.
Ein zweiter Entwurf war von organisch anmutender Form und bekam eine Daumenablage. Auch hier kamen die zwei Materialien zum Einsatz. Allerdings fiel bei diesem Griff auf, dass er schwieriger zu entschlüsseln ist und die Benutzung dadurch nicht unbedingt intuitiv erfolgt.
Es folgten weitere Modelle, unter anderem mit einem Rohr als Griff, dessen Verwendung zwar spannend war und bei der Benutzung Spaß machen würde, aber Informationen zur Verwendung missverständlich transportieren könnte.
Es gibt zwei Optionen zum Transport der Nutzungsinformation: Material und Form. Die Frage nach dem Material blieb bis aufs Erste offen, nach mehreren Durchläufen standen aber weichere handschmeichelnde Kunststoffe oder Holz zur Auswahl.
Mit Fokus auf die Form wurde mir klar, dass jeder Entwurf produziert werden müsste, um getestet werden zu können. Das wäre sowohl aufwendig als auch teuer gewesen. So kam mir der Gedanke eines modularen Türgriffs mit einem Kernstück und einem „Add-on“, das die Informationen zur Benutzung verfügbar machen würde. In dem Fall sollte sowohl gezogen als auch geschoben werden können.
Ich entwarf also zwei Objekte: Das Kernstück von eingängiger Form und mit einem kleinen Hinweis auf den Drehmechanismus. Ich entschied mich hier für abgerundete Kanten zum Türblatt. Das Add-on imitiert das Volumen, das die Hand erzeugt, wenn sie sich um eine Türklinke schließen würde. Für das Drücken und Ziehen eines Griffs sind zwei unterschiedliche Teile der Hand wichtig. Die Finger ziehen, die Handfläche schiebt. Also musste die Hauptfläche des Griffs für beide Situationen entsprechend gestaltet werden: Für die Finger vermittelt der Griff das Gefühl, hinter etwas zu greifen, damit man einen stabilen Griff hat und nicht über die Kante rutscht.
Für die Handfläche wird die Breite entsprechend angepasst, um mehrere Berührungspunkte zu gewährleisten und mehr Druck auf den Griff zu ermöglichen. Es gibt also einen Aufsatz, aber zwei Positionen. Die richtige Form ergab sich dann durch viele von mir entworfene Modelle, die ich in ihrer Anwendbarkeit und ihrem Informationstransport testete.
Verbindung zu Otl Aichers Werk
Während des gesamten Prozesses dachte ich darüber nach, ob es Aspekte meiner Arbeit gab, die mich mit dem Werk Otl Aichers verbanden. Schließlich findet das Projekt „In and Out“ zur Auseinandersetzung mit seinem Werk und in Zusammenarbeit mit FSB statt. Rückblickend kann ich sagen, dass es diese Aspekte gibt.
Meine Türgriffe stellen einen Verbindungspunkt der verschiedenen Arbeiten Aichers dar, nicht zuletzt aber in den von ihm formulierten vier Prinzipien des Greifens:
1. Daumenstütze,
2. Zeigefingerfurche,
3. Greifvolumen,
4. Unterstützung der Handfläche.