Eingänge in Japan

Schieben statt drücken

12.06.20

Text: Luise Rellensmann, alle Fotos: Beuth-Hochschule Berlin

Die Verdichtung von Städten führt zu Leben auf kleinstem Raum. In Japan längst Alltag, wo Wohnraum eng ist und die Rückzugsmöglichkeiten begrenzt. Hier verlagern die Menschen viele Aktivitäten aus dem minimalgroßen Zuhause in den öffentlichen und halböffentlichen Raum. Wie sich dieses Verhalten auf den Stadtraum auswirkt, wollten 32 Architekturstudentinnen und -studenten der Berliner Beuth-Hochschule auf ihrer zweiwöchigen Studienreise im September 2019 genauer untersuchen.

„Das Café wird zum Wohnzimmer, der Supermarkt um die Ecke zum Kühlschrank“, so die These der Studierenden. In Begleitung der Professoren Petra Vondenhof-Anderhalten (Anderhalten Architekten), Ritz Ritzer (Bogevischs Büro) und Rüdiger Ebel (Blauraum Architekten) führte sie die Exkursion „Stadt als Wohnzimmer“ nach Tokio, Kanazawa, Kyoto und Osaka.

Zuvor hatten sie den selbstinitiierten Studienaufenthalt in mehreren Workshops vorbereitet – unter anderem Ramen-Suppen gekocht und die Dos und Dont's des fremden Kulturraums eingeübt. In einem Blog dokumentierten sie die Vorbereitungen online.

Die Studentin Juliane Schröder dokumentierte die ganze Bandbreite an japanischen Türöffnern…

…von unsichtbaren Sensoren und minimalistischen Einkerbungen über erklärungswürdige Knäufe bis hin zu schmuckstückhaften Griffen.

Das Motto der Exkursion klingt eigentlich nach: mal alle Viere gerade sein lassen, im Park auf der Decke liegen, ein Eis in der Sonne genießen. Doch so ein Verhalten konnten die Studierenden zwischen Tokio und Osaka eher nicht beobachten. „Die Japaner lassen sich nicht gerne beim Entspannen zusehen“, so ihre Vermutung. Vor Ort erforschten sie in kleinen Grüppchen ganz verschiedene Themen wie den Umgang mit Obdachlosigkeit, Stadtmobiliar oder die japanische Esskultur im Stadtraum. „Einerseits stehen Verkaufsautomaten mit Heiß-und Kaltgetränken aus der Dose selbst am verstecktesten Trampelpfad“, so die Mitinitiatorin der Reise Lena Münger, doch verzehrt werde eigentlich nichts unterwegs: „Das Essen wird zelebriert, take-away findet man kaum“.

Juliane Schröder, die derzeit ihren Masterentwurf vorbereitet, hat sich auf der Reise dem Thema der Schwelle zwischen Privatheit und öffentlichem Raum gewidmet. „Ihre Privatsphäre schirmen die Japaner klar ab, dafür braucht es weder hohe Zäune noch breite Schranken, manchmal reicht ein Hütchen, eine Markierung auf dem Boden oder eine Stofffahne, um zu signalisieren, dass Betreten hier unerwünscht ist“, sagt sie. Beim Betrachten der fließenden Übergänge in den Zwischenräumen fielen ihr schnell auch die Türgriffe als besondere Studienobjekte auf.

Ihre Fotodokumentation zeigt die Bandbreite von unsichtbaren Sensoren und minimalistischen Einkerbungen über erklärungswürdige Knäufe bis hin zu schmuckstückhaften Griffen. Darunter etwa die Hikite, eine broschenähnliche, oft kunstvoll verzierte Griffschale zur Öffnung der traditionellen raumteilende Schiebeelemente (Fusuma), welche den Studierenden etwa in der Villa Katsura in Kyoto begegneten.

In Japan gilt: „Die beste Klinke ist keine Klinke“. Dort werde eher geschoben als gedrückt, so Schröder. Das ist nicht nur platzsparend, sondern auch tief in der japanischen Kultur verankert. Tatsächlich gab es in Japan bis zur Öffnung des Landes zum Westen ausschließlich Schiebetüren. Findet man doch eine Klinke, so sei der Klinkengriff relativ kurz. „Kontaktflächen sind minimiert und idealerweise auf Fingerkuppenkontakte reduziert“ lautet eine weitere von Schröders markanten Thesen zur Türklinke in Japan. Manchmal hätten Studierende auch wie beim Rätsel im Märchen vor einer verschlossenen Tür gestanden und erwartet, dass diese sich automatisch öffnet. Im öffentlichen Raum sei es die Ausnahme gewesen, dass man Türen oder Wasserhähne überhaupt berühren müsse.

Momentan arbeitet Schröder daran, jeden vorgefundenen Klinkentypus in einem Modell nachzubauen: Die Ergebnisse der Exkursion sollen im Herbst in einer Ausstellung dokumentiert werden. „Die Stadt als Wohnzimmer“ will die Erkenntnisse der Reise als eine experimentelle Annäherung an und Auseinandersetzung mit gemeinschaftlichen Flächen im öffentlichen Raum zeigen. Beispielhaft werden hier die in Japan vorgenommenen Beobachtungen und Erkenntnisse rund um den Tokioter Platz Takadanobaba im Stadtteil Shinjuku mit Berliner Beobachtungen rund um den Leopoldplatz im Bezirk Wedding in Beziehung gesetzt.

Japanische Türklinken-Thesen der Studierenden

1. Die beste Klinke ist keine Klinke
2. Markante Stop-Signale werden vermieden
3. Kontaktflächen sind minimiert und idealerweise auf Fingerkuppenkontakte reduziert
4. Der Öffnungsmechanismus wird eher unsichtbar
gehalten und hebt sich selten vom Türblatt ab
5. Es wird eher geschoben als gedrückt