Christoph Mäckler im Interview

Wir müssen zurück zur sozial und funktional durchmischten Stadt

26.10.18

Text: Jasmin Jouhar

Die Stadt ist sein Element. Architekt Christoph Mäckler hat als Leiter des Gestaltungsbeirats das Gesicht der neuen Frankfurter Altstadt mitbestimmt. Und als Professor an der TU Dortmund mit den jährlichen Architekturtagen den Diskurs über die Stadt gefördert. Zu diesem Wintersemester wird Mäckler emeritiert. Bei einem Rundgang durch das Viertel zwischen Dom und Römer sprach FSB mit ihm über Hauseingänge, seine Heimat Frankfurt und warum sich die Politik viel mehr ins Baugeschehen einmischen muss.

Nächsten Monat laden Sie wieder zu den Dortmunder Architekturtagen. Diese achtzehnte Ausgabe ist die letzte unter Ihrer Regie. Was haben Sie sich vorgenommen?

Als ich vor rund 20 Jahren die Architekturtage neu belebt habe, waren sie dem Thema Werkstoff gewidmet – damals auch mit Unterstützung von FSB. Dieses Mal lautet der Titel: „Werkstück“. Es geht darum, wie Architekt:innen mit den Materialien arbeiten, mit den Proportionen, den Fügungen – wie ich es Ihnen gerade beim Rundgang durch die neue Altstadt gezeigt habe.

Wir haben Architekt:innen gebeten, uns ein besonderes Werkstück für die Dortmunder Architekturausstellung zur Verfügung zu stellen – etwa ein Fenster oder ein Treppendetail. Dazu gibt es ein Vortragsprogramm, unter anderem mit dem Architekturtheoretiker Fritz Neumeyer, den Architekt:innen Arno Lederer, Heike Hanada, Meinrad Morger, Ingemar Vollenweider und Uwe Schröder.

Der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler beim Rundgang durch die neue Frankfurter Altstadt zwischen Dom und Römer. Als Leiter des Gestaltungsbeirats hat er das Gesicht des wiedererstandenen Viertels mitbestimmt. (Foto: Adam Drobiec)

Was ist denn generell das Konzept der Architekturtage?

Die ersten Dortmunder Architekturtage wurden vor 40 Jahren, am 12. Juni 1975, von Joseph Paul Kleihues eröffnet. Kleihues, der in den 80er Jahren Direktor der Internationalen Bauausstellung 1984/87 in Berlin war, rief damit eines der einflussreichsten Diskussionsforen für Städtebau ins Leben, das mit seiner Emeritierung an der TU Dortmund zunächst endete. 2005 rief das Deutsche Institut für Stadtbaukunst die Dortmunder Architekturtage erneut ins Leben.

Unter dem Titel Stadtbaukunst werden Elemente des Hauses — das Dach, der Eingang, Ornament und Detail, die Treppe, das Fenster, die Fassade oder das Sockelgeschoss — in Beiträgen von renommierten Architekt:innen, Kunsthistoriker:innen und Künstler:innen aus unterschiedlichen Blickrichtungen beleuchtet. Zu den Vortragenden gehörten beispielsweise Filmemacher:innen, Designer:innen, eine Tänzerin, ein Koch, ein Museumsdirektor – ganz verschiedene Persönlichkeiten.

Wie geht es mit dem Format weiter?

Nach meiner Emeritierung zum Wintersemester 2018/19 wird der Dekan der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen, Wolfgang Sonne, die Architekturtage für eine Übergangszeit übernehmen.

Und ich hoffe sehr, dass meine Nachfolger auf meinem Lehrstuhl Städtebau, Anna Jessen und Ingemar Vollenweider, das Format weiterführen werden. Wie auch immer das aussehen wird. Joseph Paul Kleihues hatte die Dortmunder Architekturtage mit ganz anderen Schwerpunkten, wie sie für die damalige Zeit wichtig waren, begründet. Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren um den Städtebau bemüht. Die nächsten werden es wieder anders machen. Es wäre schön, wenn der theoretische Blick auf das Thema erhalten bleibt. Hier tritt nicht ein Stararchitekt nach dem anderen auf, um lediglich Bilder vorzuführen. Hier kommen Leute zu Wort, die über Architektur nachdenken.

Bild 1 von 6: Impressionen aus der neuen Frankfurter Altstadt zwischen Dom und Römer. (Foto: Adam Drobiec)

Bild 2 von 6: Der Hühnermarkt (Foto: Adam Drobiec)

Bild 3 von 6: Blick auf den Dom, im Vordergrund das Haus Zur Goldenen Waage (Foto: Adam Drobiec)

Bild 4 von 6: Hof Zum Lämmchen mit Laubenganghäusern (Foto: Adam Drobiec)

Bild 5 von 6: Empfang anlässlich der Dortmunder Architekturtage 2015 im ehemaligen Museum am Ostwall

Bild 6 von 6: Der Münchner Architekt Andreas Hild als Redner bei den Architekturtagen 2015

Sind die Architekturtage eine Selbstvergewisserung des Fachs?

Richtig. Es geht um die Fragen, wo stehen wir heute, wo geht es hin. Es werden einzelne Architekturelemente beleuchtet, wie zum Beispiel der Hauseingang, der nicht nur Teil des Hauses, sondern auch Teil der Stadt ist. Wie sieht ein Hauseingang heute aus und wie früher? Denn in der Moderne sah er anders aus als in der neuen Altstadt von Frankfurt. Wir wollen uns klar darüber werden, was solche Stadtbausteine gesellschaftspolitisch bedeuten. Ein Eingang ist nicht einfach nur ein Loch, wo man hineingeht. Er bereitet den Eintretenden auf das Haus vor, aber er ist gleichzeitig eine Repräsentation des Hauses, wie es sich im öffentlichen Raum darstellt. Die Architekturtage sind keine Retro-Veranstaltung, wir laden Kollegen unterschiedlicher Architekturauffassung ein. Darunter sind auch Architekt:innen, die mit einer Architektur wie in der neuen Altstadt nichts anfangen können.

Beim Rundgang durch die neue Altstadt haben Sie besonders auf Detaillösungen hingewiesen. Wie wichtig ist der kleine Maßstab für Ihre Arbeit als Architekt?

Meine ganze Architektur ist in diesem Maßstab gedacht. Die Liebe zu Material und Detail ist die Voraussetzung für gute Architektur. Rein konzeptionell zu entwerfen, immer mit der gleichen Fassade oder dem gleichen Detail aufzuwarten – das ist nicht das, was ich mir unter Architektur vorstelle. Der Beruf macht nur dann Spaß, wenn man sich mit den unterschiedlichen kulturellen Bedingungen auseinandersetzt und daraus ein Detail formuliert. In München arbeite ich beispielsweise nicht mit rotem Mainsandstein wie hier in Frankfurt. Dort verwende ich als Stein den dort üblichen Nagelfluh.

Lassen Sie uns über Frankfurt sprechen: Sind Sie Frankfurter?

Ja! Ich bin hier geboren, als Oigeplackter, wie der Frankfurter sagt (Anm. d. R.: Zugezogener). Meine Familie kommt aus der Nähe von Koblenz. Meine Vorfahren hatten beruflich alle mit dem Bauen zu tun. Mein Vater, mein Urgroßvater, mein Ururgroßvater waren Stadtbauräte. Bis zurück zum ersten urkundlich erwähnten Mäckler – er war Steinmetz und arbeitete an der Festung Ehrenbreitstein. Ich stehe also in einer langen Tradition.

Die ehemalige Zeche Zollern war Schauplatz der Dortmunder Architekturtage 2015. In diesem Jahre trifft man sich im neuen Baukunstarchiv NRW.

Sie haben viel gebaut in Frankfurt. Fühlen Sie sich der Stadt verbunden?

Ja, ich fühle mich der Stadt sehr verbunden. Es ist meine Heimat. In meinem Berufsleben habe ich allerdings zwei Heimaten gehabt: Frankfurt und Dortmund. Ich bin auch der TU Dortmund sehr verbunden, mit der ich sehr viel bewegen konnte, von der ich sehr unterstützt wurde, und der ich hoffentlich auch viel zurückgeben konnte. In Frankfurt habe ich meine Karriere begonnen, mit dem sogenannten „Frankfurt-Projekt“ für eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum im Jahr 1987. Nach dem Studium an der RWTH Aachen bin ich zurück nach Frankfurt gekommen und habe die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, plötzlich mit anderen Augen gesehen.

Damals habe ich eine Reihe von Entwürfen zur Stadt Frankfurt erarbeitet und parallel zur Ausstellung in der gleichnamigen Buchpublikation veröffentlicht, es finden sich hier im Grunde schon alle meine städtebaulichen Überzeugungen. Ich habe Vorschläge gemacht, wie die Stadt an vielen Stellen ergänzt und zu einer städtebaulichen Einheit geführt werden kann. Darunter waren auch viele Hochhäuser.

Nachdem die neue Frankfurter Altstadt nun fertig ist: Wo sehen Sie die städtebaulichen Perspektiven der nächsten Jahre?

Der wiedererstandene Teil der Frankfurter Altstadt zwischen Dom und Römer zeigt deutlich, dass die Architektur der Moderne an einem Punkt ist, der von der Gesellschaft so nicht mehr akzeptiert wird. Wo auch immer Sie bauen, es gibt stets große Diskussionen.

Das liegt daran, dass wir Architekt:innen in den vergangenen 50 Jahren viel verspielt haben. Vor allem beim Umgang mit dem öffentlichen Raum. Denn die meisten Architekt:innen sehen ihr Haus nur als Solitär. Wir müssen wieder lernen, dass wir uns mit unseren Gebäuden einzufügen, dass wir öffentliche Räume zu entwickeln haben. Das können wir aus dem Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt lernen. Die zweite Lehre: Auch die Politik muss sich viel mehr um den öffentlichen Raum bemühen. Ein ähnliches Engagement der Politik, wie für das historisch bedeutsame Dom-Römer-Areal, sollte bei jeder neuen Quartiersentwicklung selbstverständlich sein. Damit ließen sich viele soziale Probleme lösen, etwa den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zurückkommen müssen zur sozial und funktional durchmischten Stadt.

Christoph Mäckler im Interview mit FSB. (Foto: Adam Drobiec)