Peter Haimerl im Interview

Ich muss Entwicklungsprozesse initiieren

05.01.17

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten, 40 Sekunden - 5. Januar 2017 | Text: Nadin Heinich

Der Münchner Architekt Peter Haimerl gibt sich nicht damit zufrieden, Dienstleister zu sein. Er ergreift selbst die Initiative, geht auf Bauverantwortliche und Nutzer:innen zu und sucht Investor:innen. Sein prominentestes Projekt: das 2014 eröffnete Konzerthaus in dem kleinen Ort Blaibach im Bayerischen Wald, auf halber Strecke zwischen München und Prag. FSB hat das Projekt mit Türbeschlägen aus der Produktfamilie 1163 von Hans Kollhoff unterstützt. Haimerl ist selbst in einem kleinen Weiler im Bayerischen Wald aufgewachsen.

Eine gewisse Sturheit und Unabhängigkeit hat er sich immer bewahrt und zählt heute zu den interessantesten Köpfen der deutschen Architekturszene. Ein Gespräch über das Potenzial des Bayerischen Walds, die Entstehungsgeschichte von Blaibach und warum er leerstehende Häuser sucht.

Wie entstehen Deine Projekte? Wo suchst Du Dir Deine Aufgaben?
In den letzten Jahren hat sich Architektur als Image- und damit Wirtschaftsfaktor für Städte enorm weiterentwickelt.

Bisher jedoch setzen die Architekt:innen selbst dieses Entwicklungspotenzial zu wenig ein, sie nutzen zu wenig die Wirkkraft von Architektur auf Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn sich ein:eine Architekt:in lediglich als Dienstleister:in versteht, schöpft er:sie nur einen geringen Teil seiner:ihrer Möglichkeiten aus. Architektur kann mehr: Sie kann im besten Fall Kulminationspunkt, Hauptimpulsgeber für kulturelle und künstlerische Entwicklungen sein. Ich habe für mich erkannt, dass ich Entwicklungsprozesse initiieren muss. Daher habe ich beschlossen, auf Bauverantwortliche und Nutzer:innen zuzugehen, bei ihnen Denkprozesse anzuregen oder selbst Investor:innen für brachliegende Areale zu suchen.

Musterbeispiel Blaibach im Bayerischen Wald: Mit dem 2014 eröffneten Konzerthaus zeigt Peter Haimerl, wie Architektur ländliche Orte wiederbeleben kann.
(alle Archi­tek­tur­fotos: Edward Beierle)

Das ist aber nicht der einfache, schnelle Weg zum Erfolg, oder?
Das ist ein zielführender, sehr effektiver und auch schneller Weg. Wettbewerbsverfahren dauern sehr lange. Ich versuche, direkt, mit flexiblen Mitteln und in Partnerschaft mit anderen Institutionen architektonische Ansätze für entwicklungsfähige Zonen zu finden. Ich kann so unmittelbar auf den Ort reagieren, ohne bremsende Zwischenphasen, wie zum Beispiel bei Prüfungsperioden in Wettbewerben.

Bevor ihr ein Konzerthaus in Blaibach gebaut habt, habt ihr zuerst die „HAUS.PATEN Bayernwald“ gegründet. Warum?
Blaibach ist ein gutes Beispiel für unser oben beschriebene Prozedere: Unser Ansatz war, mit Architektur die kulturelle und wirtschaftliche Aufwertung des Bayerischen Waldes zu schaffen.

2010 haben wir die „HAUS.PATEN Bayernwald“ gegründet, um einige dieser alten Häuser, die im gesamten Bayerischen Wald stehen, zu kaufen, zu sanieren und einer hochwertigen Nutzung zuzuführen. Eine stark regional verwurzelte Idee. Nach Blaibach bin ich gekommen, weil es da solch ein altes Bauernhaus gab. Gleichzeitig war dieser Ort prototypisch für ein Dorf, dessen Dorfkern leer stand, und das sich nur noch an seinen suburbanen Rändern weiterentwickelte. Ich habe dem Bürgermeister von dem Modellprojekt „Ortschaft Mitte“ der Obersten Baubehörde erzählt. Dessen Ziel war es, modellhaft dem Leerstand, dem Verfall der Ortsmitten entgegenzuwirken. Wir haben dem Bürgermeister nicht die üblichen städtebaulichen Maßnahmen vorgeschlagen, sondern einen dynamischen Prozess initiiert. Die Idee war einfach: Nicht wir Architekt:innen geben die Verbesserungsvorschläge vor, sondern wir suchen Partner:innen.

Diese Partner:innen überlegen sich, wie sie den Ort durch partielle Eingriffe verändern können. Wir wollten Leute zusammenbringen, die sich dafür begeistern, in einer Gemeinde wie Blaibach zu handeln. Unsere Aufgabe als Architekt:innen war in Blaibach zu Beginn eher eine Vermittlungstätigkeit. Unsere erste Forderung an die Gemeinde war dabei, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und das Rathaus, das sich vorher in einer Turnhalle befand, wieder in die Ortsmitte zu verlegen. Das sollte sie mit den bestmöglichen architektonischen Mitteln machen. Wir wollten einen Anfangsimpuls schaffen.

War es schwierig, die Gemeinde zu überzeugen?
Es gab Diskussionen. Aber ab dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung getroffen war, stand sie hinter uns.

Bild 1 von 5: Das Konzerthaus in Blaibach, dahinter das Neue Bürgerhaus, ebenfalls ein Projekt von Peter Haimerl

Bild 2 von 5: Der Eingang zum Konzerthaus

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Bild 4 von 5

Bild 5 von 5

Erst Rathaus, dann Konzertsaal?
Ursprünglich wollte ich das Waldlerhaus, das sich neben dem jetzigen Konzerthaus befindet, für meine Hauspatenhäuser kaufen. Dann kam die Idee, sich an „Ortschaft Mitte“ zu beteiligen. Ich habe für die Kommune das Konzept für den Wettbewerb unter zwei Bedingungen geschrieben. Erstens: Die Gemeinde darf sich nicht in die Architektur einmischen. Zweitens: Wenn wir gewinnen, muss ich Stadtplaner werden. 85 Gemeinden haben sich an diesem Wettbewerb beteiligt, zehn wurden ausgewählt, Blaibach war an Platz eins gesetzt. Somit wurde ich Stadtplaner der Gemeinde. Während der Suche nach den richtigen Partner:innen bin ich auf den Bariton Thomas E. Bauer gestoßen. Er hatte die Idee, ein Konzerthaus zu bauen, da er bereits vor fünf Jahren zusammen mit der in Tokio geborenen Pianistin Uta Hielscher das „Kulturwald Festival“ im Bayerischen Wald gegründet hatte. Das Festival suchte nach einem neuen Hauptspielort.

Gab es einen Moment, an dem Du gezweifelt hast, ob das alles funktioniert?
Keine Sekunde.

Ihr hattet doch auch Gegenwind. Es gab zwei Bürger:innenbegehren gegen das Konzerthaus.
Es gab großen Widerstand von bürgerschaftlicher, regionalpolitischer und kirchlicher Seite. Aber mir war immer klar, dass wir uns durchsetzen werden. Wir hatten viele Unterstützer:innen, einflussreiche Personen standen hinter dem Projekt. Das Konzerthaus war so einmalig, dass ich immer sicher war, dass wir es bauen werden. Der schwierigste Punkt kommt jedoch dann, wenn alle Widerstände beseitigt sind und es ans Umsetzen geht.

Warum?
Weil man da als Architekturschaffender keinen Einfluss mehr hat. Wenn man weiß, wie sehr ein Bürgermeister von Kritiker:innen bedrängt werden kann, kann man nachvollziehen, dass er sich die letzte Entscheidung für ein Ja oder Nein sehr gut überlegt. In zahlreichen Gesprächen, Auseinandersetzungen und Diskussionen haben wir letztendlich gemeinsam das Konzerthaus gebaut. Heute sind die Kulturwald-Veranstaltungen immer ausverkauft. Das läuft wunderbar. Aber das hätte auch ganz anders sein können.

Gab es schon einen Entwurf, als es um diese Entscheidung ging?
Ja. Der Grundentwurf mit dieser gekippten Schuhschachtel war sehr schnell fertig. Aber die Architektur hat nie wirklich eine Rolle gespielt. Die Art der Architektur war nicht das Problem, die Angriffe zielten auf die Wirtschaftlichkeit und Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens.

Das Komplizierteste am Konzerthaus: die selbstgebaute Fassade

Blick in das Foyer

Was waren beim Bau die größten Herausforderungen? Der Beton für die Innenschalung besteht zum Beispiel aus Schaumglasschotterbeton, eine Neuentwicklung für Blaibach.
Das Konzerthaus ist ein komplizierter Bau. Diese Innenschalung besteht aus zweieinhalbtausend Schalungselementen, von denen keines gleich ist.

Trotzdem wollten wir das Konzerthaus in einem Jahr bauen, um den Druck und die Euphorie aufrecht zu erhalten. Das Komplizierteste war jedoch die Fassade, weil wir die selber gebaut haben.

Wie wichtig sind dir die ganzen Auszeichnungen, die du für Blaibach erhalten hast?
Wir haben mehr als zehn Preise bekommen. Derjenige, der auch im Bewusstsein der Leute etwas verändert hat, war die Große Nike.

In einem übergeordneten Sinn verfolge ich weiterhin das große Projekt „Bayerwald“, weil ich glaube, dass im Bayerischen Wald ein architektonisches und wirtschaftliches Potenzial steckt, das bisher nicht erkannt wurde. Unter anderem bin ich auch Stadtplaner in Viechtach. Die Preise sind wichtig, weil die Menschen jetzt ihre eigene Region anders wahrnehmen. Und durch diese Anerkennung schaut man plötzlich von außen anders auf den Bayerischen Wald. Das ist mir das Wichtigste.