Architekturbiennale 2018: Britischer Pavillon

Adam Caruso im Interview

22.06.18

Splendid Isolation? Im Gegenteil: Großbritannien präsentiert sich zur diesjährigen Architekturbiennale in Venedig als offenes, großzügiges Land. Dank des Kuratorenteams um den Künstler Marcus Taylor und die beiden Architekten Adam Caruso und Peter St John, die unter dem Titel „Island“ den Pavillon eingerüstet und leergeräumt haben. Weitblick verschafft eine Plattform auf dem Dach. Wir haben Caruso in Venedig getroffen und über extreme Zeiten, die Wirkung von Fassaden und Post-Bauhaus in Deutschland gesprochen.

Herr Caruso, warum haben Sie für Ihre Ausstellung im britischen Pavillon das Thema Insel gewählt? Haben Sie nicht genug von allem, was mit dem Brexit zu tun hat?

Die Ausstellung hat in der Tat einen Bezug zum Brexit. Aber nichts in dem Pavillon oder dem Katalog bezieht sich explizit auf die derzeitige Politik. Geht man auf das Gebäude in den Giardini zu, sieht man nur ein großes Baugerüst. Man weiß nicht so genau, ob der britische Pavillon möglicherweise abgerissen wird. Vielleicht will Großbritannien aus der Biennale ausscheiden?

Dann tritt man ein und findet einen leeren Pavillon vor. Wir setzen damit einen Kontrapunkt zu diesem pompösen Gebäude und seinem nationalen Machismus. Auf dem Dach wiederum haben wir einen vollkommen neuen Raum geschaffen, der an das Grafton-Thema „Freespace“ anknüpft. Es ist ein regelrechter Platz mit einem dekorativen Fußboden. Von dort können Sie die Lagune und die Inseln sehen. Um vier Uhr nachmittags lassen wir Tee servieren. Wir haben alle teilnehmenden Länder und Organisationen dazu eingeladen, den Pavillon zu nutzen, und tatsächlich nehmen viele das Angebot auch wahr. Unser Pavillon ist ein absolut großzügiger Ort.

Das Team des Britischen Pavillons: Architekt Peter St John, Künstler Marcus Taylor, Kuratorin Sarah Mann und Architekt Adam Caruso (von links).
(Foto: Cristiano Corte/ British Council)

Sie versuchen also, ein Bild von Großbritannien zu erzeugen, wie Sie es sich wünschen würden?

Wenn Sie über die Eigenschaften von Nationen nachdenken, dann stellen Sie fest, dass Großbritannien oft die Stimme der Mäßigung und Toleranz war. Bislang war es ein Land, in dem sich extreme Standpunkte kaum durchsetzen konnten. Aber wir leben in einem Zeitalter der Extreme, und derzeit ereignen sich einige äußerst extreme Dinge.

Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie bereits eine Reihe von Ausstellungsräumen gebaut oder saniert. Inwieweit hat diese Erfahrung Ihr Konzept für den Pavillon beeinflusst?

Nicht allzu sehr. Es war wirklich Marcus’ Idee als Künstler. Unser Beitrag ist ein provisorisches Stück Architektur, eine Situation, die man erlebt.

Unser Wissen über Ausstellungsräume spielte eine weitaus größere Rolle bei der Freespace-Ausstellung von Grafton. Wie und warum gestaltet man eine Ausstellung innerhalb einer großen Architekturausstellung? Das war hier die Frage.

Bild 1 von 8: Leergeräumt und in Baugerüste gehüllt: der Britische Pavillon zur Architekturbiennale 2018. (Foto: Hélène Binet/ British Council)

Bild 2 von 8: Auf dem Dach haben Marcus Taylor und Caruso St John eine Plattform gebaut, die Besucher erreichen sie über eine Treppe an der Seite des Pavillons. (Foto: Philip Heckhausen/ Caruso St John Architects)

Bild 3 von 8: Die Plattform bietet weite Ausblicke über die Lagune und das Biennale-Gelände – und den in extremen Zeiten umso nötigeren Weitblick. (Foto: Hélène Binet/ British Council)

Bild 4 von 8: Very british: Täglich um vier Uhr nachmittags wird hier oben Tee serviert. (Foto: Philip Heckhausen/ Caruso St John Architects)

Bild 5 von 8: Das Dronenfoto setzt das dekorativer Muster der Plattform besonders schön in Szene. (Foto: Cultureshock Media/ British Council)

Bild 6 von 8: Das Innere des Pavillons bleibt leer und bietet Raum für das Veranstaltungsprogramm. (Foto: Cristiano Corte/ British Council)

Bild 7 von 8: Caruso St John Architekten haben auch einen Raum in der Biennale-Hauptausstellung „Freespace“ eingerichtet. Er ist der Fassade in der europäischen Stadt gewidmet. (Foto: Caruso St John Architects)

Bild 8 von 8: Sie zeigen Zeichnungen von eigenen Projekten, ergänzt um Fotos aus zwölf verschiedenen Städten. Die großflächige Bank in der Mitte wiederholt das Muster der Plattform auf dem Britischen Pavillon. (Foto: Caruso St John Architects)

Können Sie uns mehr zu Ihrem „Freespace“-Beitrag sagen?

Der Beitrag hat den Titel „Die Fassade ist das Fenster zur Seele der Architektur“. Denn Fassaden von Gebäuden haben die größte Wirkung auf Menschen. Ob Sie es wollen oder nicht, Sie müssen an manchen Gebäuden jeden Tag vorbeigehen, etwa auf dem Weg zur Arbeit. Diese können neutral sein. Oder vielleicht haben die Gebäude eine negative Wirkung auf Sie.

Im besten Fall – so wie hier, wenn Sie durch Venedig laufen – tragen Gebäude aber dazu bei, dass Sie sich ganz tief im Inneren und auf einer unbe­wussten Ebene ein wenig besser fühlen.

Und was zeigen Sie konkret?

In unserem „Free­space“-Raum prä­sen­tieren wir Zeich­nungen von 22 Fas­saden, alles aktu­elle Pro­jekte von uns.

Die Idee ist, dass diese Fassaden Figuren in der Stadt sind, die eine bestimmte Atmosphäe erzeugen. Darunter, auf dem unteren Teil der Wand, sehen Sie eine Reihe von Fotografien von Philip Heckhausen, sie zeigen ganz normale Alltagssituationen aus zwölf verschiedenen europäischen Städten. Möglicherweise erkennen Sie einige Gebäude, einige davon sind sogar von uns. Aber es gibt auch viele gewöhnliche Häuser. Was Sie sehen, ist die Konstellation dieser verschiedenen Gebäude, die sich etwas mitzuteilen haben. Genau das macht die Identität der europäischen Stadt aus.

Caruso St Johns Beitrag für die Biennale-Hauptausstellung „Freespace“ von Grafton.
(Foto: Caruso St John Archi­tects)

Als das von Ihnen für die Bremer Landesbank entworfene Gebäude vor fast zwei Jahren eröffnet wurde, sorgte es für einiges Aufsehen in der deutschen Architekturszene, weil es alte Gegensätze wie Traditionalismus gegen Modernismus wiederzubeleben schien. Hatten Sie das erwartet?

Wir waren die einzigen Nicht-Deutschen, die am Wettbewerb teilgenommen hatten, und wir waren die Einzigen, die ein Backsteingebäude vorschlugen – mitten in Bremen!

Das war natürlich eine Überraschung. Warum sollte man in einer Stadt des UNESCO-Weltkulturerbes, in der Backstein allgegenwärtig ist – Bremen ist Backstein, – warum sollte man dort eine Bank mit einer weißen Putzfassade bauen? Die Aufgabe des Architekt:innen ist es doch, Gebäude zu schaffen, die in ihrem Kontext bedeutsam sind. Ich glaube nicht, dass es bei den Reaktionen um Historismus oder Modernismus ging.

Aber sie zeigen, dass in Deutschland – mit seiner besonderen Geschichte und der Rolle der Architektur in dieser Geschichte – eine Art Post-Bauhaus-Modernismus immer noch als bewährte und sicherste Art gilt, Häuser zu bauen. Die Reaktionen haben mich daher nicht sonderlich überrascht. Aber wir freuen uns natürlich, dass das Bankgebäude in der Stadt so beliebt ist. An Tagen der Offenen Tür kommen Tausende Menschen dorthin. Die Bremer begreifen intuitiv, dass das Gebäude zu ihrer Stadt passt.