David Chipperfield im Interview

Gebäude sollen dem Menschen einen guten Ort schaffen

21.02.20

Interview: Jasmin Jouhar
(Porträtfoto David Chipperfield: Ingrid von Kruse)

Gerade in Deutschland braucht man David Chipperfield kaum mehr vorstellen. Mit seinem deutschen Team verantwortete er so prominente Projekte wie das Neue Museum und die James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel in Berlin. Nächstes Jahr eröffnet die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe wieder, ebenfalls saniert von dem britischen Architekten. Er unterhält außerdem Niederlassungen in London, Mailand und Shanghai und betreut weltweit Projekte. FSB traf den 66-jährigen zum Interview in seinem Berliner Büro und lernte ihn als ernsthaften, hochkonzentrierten und zugleich freundlich-verschmitzen Gesprächspartner kennen.

Herr Chipperfield, mit der Eröffnung der James-Simon-Galerie im vergangenen Jahr ist Ihre Arbeit am Wiederaufbau der Museumsinsel nach rund 25 Jahren beendet. Alexander Schwarz, einer Ihrer Berliner Partner, sagte einmal, die Zeit sei wie ein zweites Studium für ihn gewesen.
Ja, das stimmt. Speziell das Neue Museum war unsere Ausbildung. Aufgrund der technischen Schwierigkeiten und der Gestaltungsfragen, vor allem aber politisch: Wie geht man mit einem Projekt um, zu dem jeder in Berlin eine Meinung hat? Es war sehr kontrovers und auch konfrontativ. Zu konfrontativ für meinen Geschmack. Also hat unser Büro eine kollaborative Arbeitsweise entwickelt, um alle Beteiligten zusammenzubringen. Die Stadtplaner:innen, das Denkmalamt, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Kuratoren, alle sollten an das Projekt glauben und uns helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ohne diese Arbeitsweise hätten wir das Projekt nicht bewältigt, deswegen ist es so ungemein bedeutsam für die Mentalität unseres Büros. Ich denke, es wird immer wichtiger, dass Architekt:innen kollaborativ arbeiten. Wir sollten nicht wie ästhetische Genies auftreten.

Ein aktuelles Museumsprojekt ist die Sanierung der Neuen Nationalgalerie, die nächstes Jahr wiedereröffnet werden soll. Ihr Konzept haben Sie „unsichtbarer Architekt“ genannt.
Ich denke nicht, dass wir eine Wahl hatten. Die Aufgabe war nicht, ein Mies'sches Projekt in ein David-Chipperfield-Projekt zu verwandeln. Die Aufgabe war, Mies wieder in einen guten Zustand zu versetzen. Einige Maßnahmen waren einfache technische Erneuerungen, andere bedurften kultureller Interpretation oder funktionaler Neubewertung. Aber letztendlich soll niemand das Facelift bemerken.

Was war die schwierigste Aufgabe?
Die Fassaden der gläsernen Halle, denn sie waren von vorn herein falsch geplant worden. Wir hätten sagen können, gut, gestalten wir sie eben so, dass sie funktionieren. Aber bei Mies ist das Detail die Gestaltung. Die Fassaden zu verändern, hätte bedeutet, das ganze Gebäude zu verändern. Also mussten wir kulturelle und technische Aspekte abwägen. Es ist schließlich ein Museum, man kann nicht so viel Geld ausgeben und dann funktioniert es am Eröffnungstag nicht. Das war wirklich eine Herausforderung.

Die 2019 eröffnete James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel
(Foto: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects)

Warum haben Sie sich eigentlich als junger Mann entschieden, Architektur zu studieren?
Ich ging auf ein Internat und war nicht besonders gut in der Schule. Die Hälfte der Zeit habe ich Rugby gespielt und die andere Hälfte im Kunstraum verbracht, da habe ich mich wohlgefühlt. Mein Kunstlehrer war ein besonderer Lehrer, er hat mich ermutigt und gefördert. Und weil er sich für Architektur interessiert hat, hat er mich in diese Richtung gelenkt.

Sie entwickeln auch Möbel und Gebrauchsgegenstände. Inwiefern sind die Designprojekte relevant für die Arbeit des Büros?
Gute Frage. Ich denke, für die Arbeit des Büros sind diese Projekte nicht besonders relevant. Aber als ich mein Büro in den achtziger Jahren gegründet habe, herrschte Rezession. Es gab kaum etwas zu tun. Die ersten zehn Jahre hatte ich nur kleine Aufträge wie Ladeneinrichtungen, das Thema Interieur hat mich also schon immer beschäftigt. Aber ich kann die Frage auch anders beantworten: Ich glaube, dass viele Architekt:innen Gebäude als Objekte begreifen. Wir dagegen begreifen sie als Setting, wie eine Szenografie oder eine Theaterbühne. Gebäude sollten dem Menschen einen guten Ort schaffen.

Und wenn man Architektur als Setting begreift, dann interessiert man sich auch für die Objekte darin. Aber wir entwerfen nur etwas, wenn es eine Idee gibt, eine Idee, die einen bestimmten Lebensstil ausdrückt. Als ich vor 15 Jahren das Geschirr für Alessi entwarf, wünschte ich mir für mein Zuhause eine Garnitur einfacher Schalen. Ich mag all die verschiedenen Teller und Platten eines typischen Service‘ nicht.

Eingangsbereich der James-Simon-Galerie
(Foto: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects)

James-Simon-Galerie, rechts daneben das Neue Museum
(Foto: Simon Menges)

Blick von der James-Simon-Galerie in Richtung Lustgarten, links das Alte Museum, dahinter das wiederaufgebaute Stadtschloss.
(Foto: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects

Offene Treppe im Inneren der James-Simon-Galerie
(Foto: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects)

Das Auditorium in der James-Simon-Galerie
(Foto: Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects)

Bürogebäude für Amorepacific, Seoul
(Foto: Noshe)

Bürogebäude für Amorepacific, Seoul
(Foto: Noshe)

Bürogebäude für Amorepacific, Seoul
(Foto: Noshe)

Bürogebäude für Amorepacific, Seoul
(Foto: Noshe)

West Bund Museum in Shanghai
(Foto: David Chipperfield Architects)

West Bund Museum in Shanghai
(Foto: David Chipperfield Architects)

Die große Treppe im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel
(Foto: Joerg von Bruchhausen)

In Berlin-Mitte hat David Chipperfield vor einigen Jahren für sein eigenes Büro einen Altbaukomplex erweitert.
(Foto: Simon Menges)

Zum Schluss: Was wäre die wichtigste Frage, die ich Ihnen stellen sollte?
Nun, die wichtigste Frage ist, welche Rolle die Architektur in der aktuellen Situation übernehmen sollte, in der die Welt vor immensen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen steht. Ich weiß keine Antwort.

Ein großer Konflikt: Einerseits sind Gebäude für einen erheblichen Teil der Kohlendioxidemissionen verantwortlich…
Für 50 Prozent!

…und andererseits gibt es in vielen Städten Wohnungsnot. Wir müssen bauen. Ist Architektur zu einer unlösbaren Aufgabe geworden?
Wie wir bauen, hat natürlich eine Auswirkung. Aber obwohl wir als Architekt:innen Teil des Problems sind, können wir wenig dagegen tun, wir sind in einer seltsam schwachen Position. Denn wenn wir einen Auftrag bekommen, sind die größten Nachhaltigkeits-Probleme bereits verursacht. Warum wird das Gebäude überhaupt gebaut? Warum wurde ein altes dafür abgerissen? Sollte das Gebäude wirklich so groß sein? Sollte es nicht an einem anderen Ort gebaut werden? Diese Planungsfragen sind dann längst entschieden. Wir Architekt:innen sollten uns nicht mit dem Ende der Nahrungskette zufriedengeben, wir sollten uns früher einmischen.

Gibt es dafür ein Bewusstsein bei Ihren Kolleg:innen?
Ja. Aber in den vergangenen 30, 40 Jahren hat sich der Berufsstand immer mehr von den politischen Planungsprozessen entfernt. Nach dem Krieg war das anders, da waren Architekt:innen daran beteiligt, eine Stadt zu entwickeln. Wir sollten der Gesellschaft beweisen, dass wir etwas beizutragen haben. Allerdings wird die Planung mehr und mehr von Investoren bestimmt. Unsere Rolle besteht dann darin, mit unseren Fähigkeiten die Projekte kommerziell aufzuwerten. Wir sollten unsere Fähigkeiten wieder dazu benutzen, gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Ein Entwurf von David Chipperfield für FSB: die Türdrücker-Familie FSB 1004
(Foto: FSB)