Auf Werksbesuch in Brakel

Alles im Griff

22.12.17

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten, 45 Sekunden - 22. Dezember 2016 | Text: Ansgar Steinhausen, Fotos: Christian Grund

Gute Architektur braucht nicht nur den großen Entwurf. Sie ist auch die Summe perfekter Details. Über viele machen wir uns im täglichen Gebrauch nur wenig Gedanken. Wie über die Türklinke. Dabei nehmen wir kaum ein Bauteil so oft in die Hand. Wer mehr darüber wissen will, sollte ins ostwestfälische Brakel fahren. In der beschaulichen Kleinstadt ist die geballte Klinkenkompetenz der Republik versammelt.

Über eine Million Türgriffe verlassen jedes Jahr die Werke des Mittelständlers Franz Schneider Brakel, kurz FSB. Das Unternehmen ist europäischer Marktführer im gehobenen Segment.

Das war 1881 noch nicht absehbar, als die Firma als Teutonia Werke, Westfälisches Metallwerk, gegründet wurde.

Zunächst produzierte man dekorative Aluminiumbleche für die ausladenden Möbel der Gründerzeit. Erst in den zwanziger Jahren entstanden dann auch Türbeschläge. Die wurden unter dem Einfluss des Neuen Bauens rasch zu Inbegriffen der Architekturavantgarde. War doch den Architekten des Bauhauses und ihren Zeitgenossen die Bedeutung funktionaler Türgriffe so bewusst wie kaum jemandem zuvor.

Über eine Millionen Türgriffe verlassen pro Jahr die Werkshallen von FSB in Brakel.
(alle Archi­tek­tur­fotos: Edward Beierle)

Den großen Durchbruch brachte FSB dann der Bauboom der fünfziger Jahre. Damals entstanden erste Modelle, die man Autoren-Klinken nennen könnte. „Das bis dahin meist anonyme Design der Türgriffe wurde nun einzelnen Gestaltern wie unserem damaligen Hausdesigner Johannes Potente zugeschrieben und bald weltweit beachtet“, berichtet FSB-Marketingleiter Matthias Fuchs, ein großgewachsener Brillenträger, der selbst Industriedesign studiert hat. Vier von Potentes Entwürfen gelangten später sogar in die ständige Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art.

Das Material der Stunde war Aluminium, ein erstaunlich vielseitiges Leichtmetall und silbern glänzendes Zukunftsversprechen, aus dem sich Geradliniges wie Schwungvolles formen ließ. Doch dann stürzte die Begeisterung der siebziger Jahre für Kunststoff und Knallbuntes FSB in die Krise, bis die Marke seit den Achtzigern mit neuen Entwürfen führender Gestalter wieder Fuß fasste und mit Edelstahl und Bronze zunehmend auf eine exquisite Materialästhetik setzt.

Während andere Hersteller heute in China produzieren lassen, wo Edelstahlprodukte längst Massenware geworden sind, bleibt FSB der ostwestfälischen Heimat treu.

Das Qualitätsversprechen im Hochlohnland hat seinen Preis. Die günstigste Aluminium-Türdrückergarnitur aus Brakel kostet 46 Euro, die teuerste aus Bronze ist nicht unter 300 Euro zu haben, Edelstahl rangiert zwischen diesen Polen. Auch deshalb wird man FSB-Produkte nicht in Baumärkten finden. Dafür stammen die Entwürfe von bekannten Architekten wie David Chipperfield, Helmut Jahn, Dominique Perrault oder Christoph Mäckler und die Klassiker unter ihnen von Walter Gropius, Robert Mallet-Stevens, Ferdinand Kramer und Max Bill.

Bild 1 von 11: Impressionen aus der Produktion. Hier wird geschmolzenes Aluminium zum Gießen geschöpft.

Bild 2 von 11: Frisch gegossene Aluminiumteile

Bild 3 von 11: Polieren eines Aluminiumteils

Bild 4 von 11: Aluminiumteile werden zum Eloxieren gebracht

Bild 5 von 11: Fertig eloxierte Aluminiumteile

Bild 6 von 11: Ein Türknopf aus Bronze wird geschliffen

Bild 7 von 11: Ein FSB-Mitarbeiter beim Schleifen eines Edelstahlrohrs

Bild 8 von 11: Hier wird Edelstahl geschweißt

Bild 9 von 11: Beim sogenannten Hydroforming werden Teile unter Druck gebogen

Bild 10 von 11: Blick in die Halle für die Endmontage

Bild 11 von 11: Eine Übersicht über alle Edelstahlmodelle aus dem FSB-Sortiment – vor der Oberflächenbehandlung

Bis man einen der meisterhaften Türdrücker in den Händen halten kann, sind viele Produktionsschritte nötig. In den lichten Hallen einer ehemaligen Dampfschlachterei schöpft einer der 600 Mitarbeiter geschmolzenes Aluminium mit der Kelle aus einem Kessel, beugt sich über die Gussform und gießt das Leichtmetall mit abertausendfach geübter Hand hinein. Sekunden später löst sich ein silbriger Türgriff aus dem Werkzeug. Noch ist der Rohling gratig und rau, dann wird er mehrfach geschliffen, gerade bei den freien Formen noch per Hand und in kauernder Haltung, bei den geometrischen hilft auch ein Triadisches Ballett von Robotern mit ihren ungelenk-zackigen Bewegungen.

In den Trovalisiertrommeln reibt anschließend eine Armee kleiner Keramikkegel unermüdlich über das Metall und macht es nach langen Stunden endlich zum Handschmeichler. Erst nach einer Spiegelpolitur folgt dann die Eloxierung, die das Aluminium in einem elektrochemischen Verfahren mit einer dünnen, aber harten Schutzschicht überzieht. Auf diese Weise wird die Oberfläche eingefärbt und verdichtet, bis die Klinke endlich licht- und wetterbeständig ist. Bei allem Aufwand bleibt Aluminium trotzdem vergleichsweise kratzempfindlich. Da viele Kunden aber eine dauerhaft makellose Oberfläche verlangen, fertigt FSB inzwischen das Gros der Türdrücker aus Edelstahl.

Auch hierbei arbeiten Mensch und Maschine wieder Hand in Hand. Es ist erstaunlich ruhig in den hellen Werkshallen, wenn meterlange Stahlrohre geschnitten, unter gewaltigem Druck geradezu aufgeblasen, vielfältig verformt, dann geschweißt, entgratet, geschliffen und poliert werden. Nebenbei purzeln aus einer haushohen Exzenterpresse im Sekundentakt ausgestanzte Türschilde und Rosetten wie die Münzen aus einem einarmigen Banditen. Ein Arbeiter überprüft sofort die silbern glänzenden Teile, Präzision ist oberstes Gebot.

Alle Metalle: Das Foto links zeigt die sogenannten Aluminium-Masseln. In dieser Form wird das Roh-Aluminium in Brakel angeliefert.

Das Foto rechts zeigt Gussteile aus Bronze aus der FSB-Produktfamilie 1004 von David Chipperfield.

Auch wenn der Produktkatalog von FSB so dick wie das Berliner Telefonbuch ist, entfällt ein Großteil der Produktion auf gerade mal ein Dutzend Erfolgsmodelle. „Absoluter Favorit unserer Kunden ist das sogenannte ‚Frankfurter Modell‘, ein schlichter Drücker, der aus zwei Rundstäben besteht, die an der Gehrung verschweißt sind“, erzählt Matthias Fuchs und findet „FSB 1076“ bei unserem Rundgang in großen Mengen auf Gestellen.

Der bemerkenswert einfache Erfolgsentwurf geht auf den Architekten Robert Mallet-Stevens und damit auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück und ist doch völlig zeitlos.

Dasselbe lässt sich von den „Vier Geboten des Greifens“ sagen, die der Gestalter Otl Aicher den FSB-Entwicklern schon in den 1980er Jahren als Kriterien für Klinkendesign mit auf den Weg gegeben hat: Daumenbremse, Zeigefingerkuhle, Ballenstütze und Greifvolumen, all das zeichne einen gelungenen Entwurf aus. Wie den jüngsten von John Pawson, dem Meister des britischen Minimalismus.

Modell „FSB 1242“ ist an den berühmten Reichsform-Drücker von Hans Poelzig aus den zwanziger Jahren angelehnt, findet aber in edler Bronze zu einer neuen Interpretation. Details wie diese machen ein Haus aus, geben ihm Charakter. An der Türklinke mögen sich die Geister scheiden. Sie ist immer ein Statement, an dem sich ambitionierte Bauherren erkennen lassen, ob in Aluminium, Edelstahl oder Bronze.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift „Häuser“, Ausgabe 3/2016