Benedikt Schulz im Interview

Uns reizt der sportliche Gedanke

03.02.17

Noch während des Studiums begannen die beiden Brüder Ansgar und Benedikt Schulz, an Architekturwettbewerben teilzunehmen – und kaum ein anderes deutsches Büro landete seitdem so oft auf dem Siegertreppchen. Das Ergebnis sind öffentliche Bauten, die von Fachwelt und Nutzern gleichermaßen gelobt werden. Eines ihrer Lieblingsthemen ist der Schulbau, dem Schulz und Schulz nicht nur ihre Zeit als Planer, sondern auch ein eigenes Forschungsprogramm widmen.

FSB sprach mit Benedikt Schulz über den latenten Größenwahn seiner neuen Heimat Leipzig, die Probleme des deutschen Wettbewerbssystems und das Unterrichten im Angesicht des Dortmunder Fußballstadions – als Mitglied von Schalke 04.

Sie kommen aus dem Ruhrgebiet: Was hat Sie als Mitglied des FC Schalke 04 Anfang der 90er Jahre nach Leipzig verschlagen?
Wir haben 1994 an dem Wettbewerb für den Leipziger Hauptbahnhof teilgenommen – und das war im Grunde der Anlass, der Stadt einen Besuch abzustatten. Damals war es eine besondere und aufregende Zeit, voller Aufbruchsstimmung.

Es gab die Schneider-Baustellen, jedes zweite Haus war eingerüstet, und überall hörte man Presslufthämmer. Es war extrem pulsierend! Wir kamen aus dem Ruhrgebiet, wo echt nichts los war. Da baute man nichts, und wenn, dann auch nichts Anständiges. Und als wir dann den 2. Preis beim Wettbewerb machten und als Folge dessen zu weiteren Ausschreibungen eingeladen wurden, sind mein Bruder und ich einfach in der Stadt geblieben und haben dort unser Büro aufgemacht.

Ansgar und Benedikt Schulz
(Foto: Joachim Brohm / Valentina Seidel)

Wie unterscheidet sich denn die Leipziger Architektur-Gesellschaft von der im Ruhrgebiet?
In Leipzig ist alles offen und durchlässig. Und in unserer Heimat kommt viel auf Beziehungen an. Da gibt es für selbstständige Architekt:innen nur die Frage, ob man Rotary- und Golf-Club schafft oder nur eines von beiden: Das ist das Medium der Auftragsbeschaffung. In Leipzig gab es in den 1990er Jahren nicht nur jede Menge Wettbewerbe – diese wurden auch ausschließlich nach Qualitätskriterien entschieden. Dadurch hatten wir von Anfang an viel zu tun. Dazu war es eine sympathische Stadt mit Hang zu latentem Größenwahn: Es gab die Olympia-Bewerbung, und öffentliche Gebäude, wie Hauptbahnhof und Flughafen, werden gerne auch mal ein bisschen zu groß gebaut. Dieses Selbstbewusstsein fanden wir gut!

Fühlen Sie sich in Leipzig zuhause?
Ja. Aber wir sind seit sechs Jahren auch wieder im Ruhrgebiet tätig: Dort lehren und forschen wir an der Uni in Dortmund. Und wir sind nach wie vor Dauerkarteninhaber auf Schalke! Dadurch leben wir in beiden Welten, wobei unser Zuhause eindeutig in Leipzig ist.

Geht das: Als Schalke-Fan an der Uni in Dortmund zu unterrichten?
Wichtig ist, dass wir nicht auf das Stadion gucken müssen. Der Blick wird Gott sei Dank durch ein Nachbargebäude verstellt. Und wenn Studierende im Dortmund-Trikot zur Vorlesung kommen, werden sie natürlich rausgeschmissen! (lacht)

Wie waren denn ihre ersten Jahre als selbstständiger Architekt?
Wir kamen aus einem Freiberufler-Haushalt und wollten nie etwas anderes machen. Daher haben wir immer versucht, die Dinge positiv zu sehen, auch wenn es natürlich aufregend war. Die ersten Jahre haben wir viele Wettbewerbe gemacht und uns auch darüber finanziert. Dazu kamen Sanierungen von Leipziger Wohnsiedlungen im bewohnten Zustand: Das fanden wir aus logistischer Sicht eine spannende Aufgabe, und es entsprach auch unserer Strategie, Erfahrungen im Bauen zu sammeln. Wir wollten nicht einen Wettbewerb gewinnen und dann hören ‚Ihr könnt ja gar nicht bauen’. Und als wir 1997 das Verfahren für die Stadtreinigung hier in Leipzig gewannen, gab es gar keine Zweifel auf Seiten des Auslobers, dass wir das auch realisieren können.

Bild 1 von 4: Katholische Propsteikirche St. Trinitatis Leipzig, Foto: Stefan Müller

Bild 2 von 4: Berufliches Schulzentrum an der Nordhaide München, Foto: Stefan Müller-Naumann

Bild 3 von 4: Gebäude 115 Universität Erlangen-Nürnberg, Foto: Stefan Müller-Naumann

Bild 4 von 4: Bundeshandelsakademie/Bundeshandelsschule Feldkirch (A), Foto: Bruno Klomfar

Der Fokus Ihres Büros scheint auf öffentlichen Gebäuden zu liegen. Woher kommt das?
Uns reizte immer der sportliche Gedanke, der hinter einem Wettbewerb steckt: sich miteinander zu messen! Und Wettbewerbe behandeln nun mal vor allem öffentliche Aufgaben. Dazu kommt, dass mein Bruder und ich nicht besonders gut in der Akquise privater Bauverantwortlicher sind (lacht). Wir verstecken uns lieber hinter sechs Ziffern rechts oben in der Ecke, als mit der Cognac-Flasche im Kofferraum durch die Lande zu fahren. Ein weiterer Grund ist, dass uns die komplexeren Bauaufgaben mit einer hohen funktionalen Dichte mehr interessieren.

Wann wird denn ein Haus für Sie komplex?
Wenn es einen über der Einzelperson stehenden Lebensraum darstellt und viele funktionale Zusammenhänge bietet. Eine Schule ist zum Beispiel ein sehr dicht belegtes Gebäude: Hier treffen wahnsinnig viele Menschen auf sehr wenig Raum für einen langen Zeitraum zusammen. Da geht es nicht nur um Lernen und Arbeiten, sondern auch um das Leben in diesem Haus. Lehrkräfte und Schüler:innen verbringen mehrere Jahre in ein und demselben Schulgebäude – da muss man diesem eine starke Identität verleihen. Und die Gebäude müssen etwas aushalten können und daher sehr robust sein!

Kann man durch die Architektur Einfluss auf das Lernen nehmen? Oder geht es mehr darum, einen guten Lebensraum zu schaffen?
Das ist ein sehr vielschichtiges Thema, und wir würden sehr gerne zu dieser Fragestellung forschen. Wir haben aufgrund unserer Erfahrungswerte als praktizierende Schulbau-Architekten folgende These aufgestellt: Schulen, deren Typologie sich zu stark an pädagogischen Konzepten orientieren, sind nicht nachhaltig. Im Gegenteil, sie müssen starr genug sein, um den sich wandelnden Konzepten standhalten zu können. Zurzeit gibt es den Trend zu Cluster-Schulen mit Lernlandschaften: Und wir sind überzeugt davon, dass die extrem darauf zugeschnittenen Schulbauten in dreißig Jahren alle wieder abgerissen werden, weil sich pädagogische Konzepte einfach immer wieder ändern – und Architektur muss darauf reagieren können. Am besten schaffen das erstaunlicher Weise die Bauten aus der Gründerzeit.

Erweiterungsbauten Gemeinschaftsschule Campus Rütli Berlin, Abbildung: Schulz und Schulz

Tor Auf Schalke, Abbildung: Schulz und Schulz

Sie sprachen über ihr Interesse an Wettbewerben: Wie würden Sie denn das deutsche Wettbewerbs-System beschreiben?
Es ist ein Riesenproblem, aber nicht nur aus berufspolitischer, sondern auch aus baukultureller Sicht. Es herrschen inzestuöse Verhältnisse im Wettbewerbswesen. Das heißt: Es sind immer dieselben Leute, die sich hier tummeln. Da kann ja nichts bei rauskommen. Das sieht man auch daran, dass in Wettbewerben immer bestimmte Gestaltungsmuster über drei, vier Jahre existieren und dann ebben diese wieder ab. Aber es gibt keinen richtigen Beitrag mehr zur Baukultur! Weil die Anforderungen immer konkreter werden: Wir müssen Fassadenflächen berechnen und seitenweise zum barrierefreien Bauen schreiben. Dann kommt ein ganzes Heer von Gutachter:innen, die in der Auswertung der Wettbewerbe den ganzen Käse prüfen und der Jury dann einen Bericht vorlegen, in dem dann steht ‚Bedingt Barrierefrei’. Wem nutzt das? Auf dem Weg zu diesen zwei Wörtern wurden 6.000 oder 7.000 Euro ausgegeben – und da sind die Unkosten der Architekt:innen noch gar nicht mit eingerechnet. Das ist doch für ein architektonisches Konzept völlig irrelevant.

Woher kommt dieser Detail-Fanatismus?
Die Auftraggeber:innen wollen sich in alle Richtungen absichern. Das ist aus meiner Sicht der Hauptgrund, warum heutige Wettbewerbe nicht mehr die Innovationskraft besitzen wie früher einmal. Die Architekt:innen werden durch riesige Anforderungskataloge regelrecht geschwächt und haben viel weniger Zeit, sich ihren Konzepten zuzuwenden.

Aber wie beurteilen Sie den beschränkten Zugang zu Wettbewerben – und damit die Chancen junger Architekturschaffender, an Jobs zu kommen?
Die Debatte führen wir seit Jahren, aber unserer Meinung nach ließe sich das alles beheben. Wenn man ein junges Büro ist, kann man sich auch mit etablierten Architekturschaffenden zusammenschließen, wie das gerade beim Wettbewerb für das Besucherzentrum für den Bundestag geschehen ist. Da haben sich zwei junge Architekturschaffende mit einem größeren Büro zusammengetan und gewonnen. Das Lamento, keinen Zugang zu haben, ist etwas abgedroschen. Mein Bruder und ich hatten früher nicht mal den Kammerstempel – also haben wir uns jemanden gesucht, der für uns gestempelt hat. Wir sind aber auch Verfechter des offenen Wettbewerbs. Unsere Theorie ist, wenn man alle Ausschreibungen öffnet, regulieren sich die Teilnehmer:innenzahlen von selbst.