Haufe Petereit haben ein Lübecker Altstadthaus saniert
Die Faszination der Fremdbestimmung
Nicola Petereit und Jörg Haufe leben in Lübeck, arbeiten in Lübeck – und lieben die Lübecker Altstadt mit ihren ungewöhnlichen Häusern. Nicht zum ersten Mal hat das Architektenpaar jetzt eines der Häuser saniert und ist selbst eingezogen. Sie nehmen das FSB Magazin mit auf ihre Reise in die Vergangenheit.
Alles begann 1996 in der Fleischhauerstraße mitten im Handwerkerviertel der Lübecker Altstadt mit dem Kauf eines in den Grundmauern im 16. Jahrhundert erbauten alten Wohnhauses. Die Architekt:innen Nicola Petereit und Jörg Haufe sanierten das Gebäude fünf Jahre lang und wohnten 16 Jahre darin. Schon vor dem Einzug wurde das im Kaufmannsviertel gelegene Architekturbüro zu klein, was kurzerhand zu einem weiteren Immobilienkauf – ebenfalls in der Fleischhauerstraße – führte.
So ist das in Lübeck. Nachbarschaft wird groß geschrieben, der Immobilienmarkt wird nicht auf Websites, sondern auf der Straße abgewickelt. Im persönlichen Kontakt. Mit viel Muße und ohne Druck. Die familiäre Situation ließ den Wunsch nach weiterem Wohnraum mit Einliegerwohnung und Schrauberwerkstatt aufkommen – und wie sollte es anders sein: Ein Objekt der Begierde – natürlich in der Fleischhauerstraße – offenbarte sich. Was zunächst mit der Anfrage einer Werkstattfläche für Jörg Haufes Motorrad-Tüftelei begann, endete 2018/19 mit dem Bezug der Hausnummer 75. Ursprünglicher Eigentümer war die Familie Kahns. Malermeister seit drei Generationen, seit 1942 in dem Gebäudekomplex ansässig und verhaftet mit der unerbittlichen Familiendoktrin: Ein Kahns verkauft nicht.
Nun, im Laufe von drei Jahren sprach man immer mal wieder – über die 500 Quadratmeter verlassene Malerwerkstatt, ein Leiterlager, ein Vorderhaus mit Wohnungen, ein für Lübeck typisches Quer- beziehungsweise Atelierhaus, das nur über einen Innenhof erreichbar ist. Architektonisch für Lübeck typisch, für die Architekt:innen herausfordernd. So wie sie es mögen. „Mich begeistert die Fremdbestimmung, der ich ausgesetzt bin, wenn ich auf ein altes Gebäude treffe“, sagt Nicola Petereit im Interview. „Ich kann nicht einfach irgendetwas entwerfen. Das Haus gibt mir einen Rahmen, ändert im Laufe der baulichen Entwicklungen seine Meinung, bringt Schätze und Unwegsamkeiten zu Tage – damit arbeite ich dann am liebsten.“
Anfang 2015 dann das entscheidende Telefonat, acht Wochen später der Notartermin, Einreichung des Bauantrags und des Antrags auf Denkmalschutz einiger Gebäudeteile, nach Ostern Beginn des Umbaus. „Meditatives Räumen“ stand in den ersten Wochen auf der Tagesordnung. Der Eigentümer durfte die nun schon seit über drei Jahren ungenutzte und voller Relikte vergangener Malerbetriebszeiten dem Verfall überlassene Gewerbefläche einfach so übergeben, wie sie war. Eine alte Malermeister-Urkunde des Großvaters Kahns tauchte auf, 13 Tonnen unbrauchbare Farbreste und Chemikalien in Gebinden aller Größen, unzählige Zeitschriften, auch aus der Vorkriegszeit, über Schriften- und Formenlehre.
„Wir haben selbst geräumt, ‚meditatives Räumen‘ nenne ich das. Man lernt ein Gebäude dann sehr gut kennen, verbindet sich mit ihm, trägt Schicht für Schicht ab, erfasst die Dimensionen, die Materialitäten, die Lichtsituation in den einzelnen Räumen durch den wechselnden Sonnenstand tagsüber.“ Brauchbare historische Farbpigmente wurden an ein Gut in der Nähe von Hamburg abgegeben, Kunstlehrer holten sich Leinwände für den Unterricht, interessante Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen inspirierten die Architekt:innen und tätigen Handwerker:innen. Das Haus atmet mit jedem Raum, jeder Nische, jedem Balken Geschichte. Die Architekt:innen fanden zwischen Deckenbalken Kupferdeckel für Seemannsknöpfe aus dem Ende des 19. Jahrhunderts – der damalige Standort für eine Prägemaschine, der auch die übermäßige Dimensionierung der Balken der ehemaligen Anlagenfabrik erklärt. Üblicherweise sind die Querhäuser immer eher filigran und weniger großzügig.
Die beiden Architekt:innen haben sich dem Prinzip verpflichtet, sehr deutlich zu zeigen, was an einem Gebäude Bestand und was neu ist. „In Lübeck neigen die Leute dazu, alles wieder in den Originalzustand zu versetzen, dadurch wird vieles niedlich, zu einer Kulissenarchitektur. Wir stellen uns immer die Frage, wie viel wir dem Haus an Neuem zumuten können, ohne zu brutal vorzugehen. Es darf zum Schluss nicht verletzt, aber auch nicht verkleidet aussehen.“
In einem der ehemaligen Malerwerkstatträume sind zentimeterdicke Farbschichten auf den Wänden und am Boden. Über Jahrzehnte wurden hier Pinsel ausgeschlagen, Rollen ausgerollt. Es entstand ein für die Architekt:innen immens ästhetisches und ideell wertvolles Relikt, das erhalten werden musste. So blieb alles Alte rau, mit sichtbaren Spuren, alles Neue wurde glatt, eckig, minimalistisch, flächenbündig.
Frau Petereit, Herr Haufe, was ist Ihnen in der heutigen Zeit rund ums Bauen noch und wieder „lieb und teuer“?
Schönheit – und diese entsteht nicht nur im Auge des Betrachtenden, sondern auch im Dialog des Gegenstands mit dem Umfeld, des Hauses mit der Umgebung, des Innenausbaus mit dem Bestand. Die Voraussetzung ist eine Geschichte, die das Objekt zu erzählen hat. Eine Ästhetik, die den Betrachtenden, den Besuchenden, die Empfänger:innen berührt und dadurch beglückt. In unserem Leben und Arbeiten im denkmalgeschützten Bestand hat das in der Regel mit Einzigartigkeit zu tun: die Einmaligkeit einer Situation, die sich durch die vorgefundene Substanz, die Ansprüche des Bauherrn und der Nutzung, den Zeitgeist der Sanierung und die Gestaltung neuer Zutaten ergibt.
Was ist das Kostbarste, das Sie während Ihres Studiums besessen haben? Und welches ist das, das Sie heute besitzen?
Damals wie heute Gegenstände, die eine Geschichte haben, Design-Geschichte, aber auch persönliche Geschichte aus der Familie oder von Freunden. Im Studium die individuell zusammengestellte Musikkassette, das in Arbeit befindliche Architekturmodell, der holländische Kinderwagen Jahrgang 1966, ein Fotoalbum, ein Bild... Und heute lässt sich das nur als Zusammenfassung der Vielzahl dieser oder ähnlicher Gegenstände benennen, unser Zuhause.
Jedes Ding hat seinen Platz. Das Haus mit all unseren Zutaten, fest eingebaut im Zuge der Sanierung und somit ein Sammelsurium aus den vielen kleinen Geschichten, entstanden ohne Fremdeinfluss im Sinne unserer ästhetischen Vorstellungen.
Durch welche Ereignisse hat sich Ihre Bewertung von Kostbarem verändert?
Durch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen gewinnen oder verlieren Gegenstände an Bedeutung. Perspektivwechsel, Lebensabschnitte, Reisen, Trennungen, neue Beziehungen und Abschiede bringen Änderungen der individuellen Bewertung mit sich.
Text und Interview sind zuerst erschienen im BerührungsPUNKTE Magazin