Schloss Wittenberg

Bruno Fioretti Marquez

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Schloss Wittenberg als Buch des Wandels

Das Bauen im Bestand liefert heute mitunter die interessantesten architektonischen Arbeiten. Sich mit dem Vorgefundenen auseinandersetzen, das manchmal viele Jahrhunderte alt ist und Umformungen aus unterschiedlichen Zeiten hinter sich hat, ihm respektvoll begegnen und dennoch etwas Neues erschaffen, das ist immer wieder eine Herausforderung, die spannende Ergebnisse hervorbringt. Die Architekten Bruno Fioretti Marquez haben eine Philosophie dieses Weiterbauens von Bestehendem entwickelt, die sich an der Idee des Palimpsests orientiert, also des Pergaments, dessen geschriebener Text immer wieder abgeschabt wurde, um es neu zu beschreiben, und das dadurch unterschiedliche Spuren und Schichten der Vergangenheit in sich trug.

Alte Architekturen lassen sich also als Textur verstehen, die von den Spuren und Schichten der im Laufe der Jahrhunderte vollzogenen Veränderungen gezeichnet ist. Es entsteht eine architektonische Handschrift, die immer wieder bearbeitet, radiert und weitergeschrieben oder mit Anhängen versehen wird. Auch das ab 1489 errichtete Schloss Wittenberg, das nach dem Entwurf von Bruno Fioretti Marquez revitalisiert wurde, hat in seiner Bestandsgeschichte eine Vielzahl von Eingriffen und kompletten Nutzungsänderungen erlebt. Als kurfürstliche Residenz an Stelle einer Burg erbaut, Anfang des 19. Jahrhunderts zur Kaserne umgebaut wurde Schloss Wittenberg zu DDR-Zeiten als Stadtarchiv, Sammlungsdepot, Gaststätte und Jugendherberge genutzt.

Das 500jährige Reformationsjubiläum im Jahr 2017 war der Anlass, das Wittenberger Schloss einer aufwändigen Neugestaltung zu unterziehen. Eine neue Nutzungsänderung und Erweiterung standen an. Das 21. Jahrhundert wollte sein Kapitel schreiben. Ein Ziel: die stark besuchte Schlosskirche mit einem neuen Besucher:innenzentrum vom Touristenstrom entlasten. Zudem sollte das Predigerseminar, die älteste postgraduale Ausbildungsstätte der evangelischen Landeskirche an diesem historisch so bedeutsamen Ort – Luther schlug hier seine Thesen an die Kirchentür! – ihre neue Wirkstätte bekommen. Zwischen Ausstellungsräumen und Predigerseminar ist die reformationsgeschichtliche Bibliothek eingezogen, die nun an einem Standort zusammengefasst werden konnte.

Architektur und Objekt

Foto: © Benedikt Kraft

„Für uns gewinnt das Gebäude erst in seiner Ganzheit, mit all seinen Geschichten und Ablagerungen, seinen Wert: nicht trotz, sondern genau wegen der Fragmentierungen wird es zu einem „Datenträger“, in den die Transformationen der Zeit eingeschrieben sind. Das Gebäude kann als ein Buch des Wandels gelesen werden“, so die Architekt:innen von Bruno Fioretti Marquez.

Authentizität des Materials und der vorgefundenen Substanz

Wie nähert man sich einem so geschichtsträchtigen, oft veränderten Bauwerk? Bei ihrem Eingriff in das Gebäude galt den Architekt:innen als Leitbild, die Geschichte nicht zugunsten eines idealisierten Zustands zu werten. So sind beispielsweise die bescheiden dimensionierten Fenster aus der Kasernenzeit des Schlosses in ihrem Format erhalten geblieben und zeugen nun auch von dieser Nutzungsepoche. Besonderes Augenmerk lag beim Entwurf darauf, wenige, unbeschichtete, wertige Materialien zu verwenden, um den Innenräumen Authentizität zu verleihen. Das ist gelungen: Jedes Material ist, was es ist, und gibt nicht vor, etwas anderes zu sein: Eichenholz, Glas, Kalkputz, an einigen Stellen Bronze und als Material der heutigen Zeit Ortbeton in Sichtbetonqualität, der seine Schalung abbildet. „Die Reduktion der Materialien schärft die physische Wahrnehmung und sensibilisiert den Besucher für die plastische Qualität der sequenzartigen Raumfolgen“, so die Architekt:innen.

Der markanteste Eingriff für die Besuchenden sind die zwei beeindruckenden Treppenhäuser in Sichtbeton. Die historischen Treppenhäuser, die der Stockwerksteilung der Renaissance folgten, mussten mit den zur Festungszeit geänderten Geschossen verbunden werden. Um den Eingriff minimal zu halten, haben die Architekt:innen die Treppen an den Enden des L-förmigen Baus in zwei quaderförmige Hohlräume positioniert, die in den Bestand geschnitten wurden. Die Spuren des Abbruchs bleiben sichtbar. So werden historische Wände erlebbar, die die Geschichte erahnen lassen. Die weiß geschlämmte Oberfläche zeigt Öffnungen und Vermauerungen, Reste und Spuren, vor allem aber unterschiedliche Materialien: Findlinge, mittelalterliche Klosterformatziegel, Hohlblockquader aus DDR-Zeit. Die neue Substanz, der neu zum bestehenden Kanon hinzugefügte Ortbeton entfaltet mit seiner feinen, „weichen“ Oberfläche in diesem Umfeld wahrlich skulpturale Qualitäten.

In die im Materialeinsatz so konsequent zurückhaltend ausgestatteten Innenräumen, deren Atmosphäre von der haptischen Ausstrahlung der Materialien lebt, fügen sich die verbauten FSB-Griffe zum einen Chipperfield aus dem Material Bronze und dem Griffprogramm der Reihe FSB 1035 in Edelstahl. Das Modell ist ein Entwurf der Innenarchitektin Heike Falkenberg, der von ihr speziell für eine beauftragte Renovierung angefertigt wurde. Der zurückhaltend gestaltete Griff mit seiner flachen Handhabe ist einer älteren Griffform nachempfunden. Mit seiner Kombination aus Rundungen und ebenen Flächen fügt er sich in das frisch revitalisierte Interieur von Schloss Wittenberg hervorragend ein. Genutzt wurde er für die Türen und auch als Olive für die Fenster (FSB 34 3784 17031 6204).

Objektdetails

Fotos: © Stefan Müller, Berlin    

Standort

Schloss Lutherstadt Wittenberg

06886 Lutherstadt Wittenberg

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