Piperi House Kythnos
Sigurd Larsen
Während der documenta 14 entdeckt Sigurd Larsen Athen für sich. Der auf einer dänischen Insel geborene Architekt fühlt sich, mehr als zum Festland, zu den griechischen Inseln hingezogen und kehrt im Folgejahr zurück – er hatte sich in ein Grundstück auf der Insel Kythnos verliebt. Die Gegend um Berlin, wo Larsen lebt, wird zunehmend dichter bebaut, und für sein Vorhaben, ein Sommerhaus mit einem gewissen gestalterischen Freiraum zu bauen, scheint das Küstengrundstück auf der rauen und abgelegenen kykladischen Insel perfekt.
Wenige Jahre später sind vier kubische Volumen auf unterschiedlichen Höhen in die wilde Hügellandschaft sonnenverbrannter, bräunlich-grüner Flora eingebettet und überblicken das Meer. Die Bauvorschriften erlauben es nicht, zwei Stockwerke übereinander zu bauen, und so sind die monolithischen Kuben wie ein Dorf über den Berghang verteilt, wobei einige von ihnen geschickt die Sicht auf die Nachbarhäuser versperren. Die verschiedenen Ebenen sind durch Treppen miteinander verbunden, die bergauf und bergab zu den drei Terrassen des Hauses führen – allesamt haben sie Blick aufs offene Meer.
Und auch Esstisch und Sofa, alle drei Schlafzimmer und sogar die Badewanne teilen den Ausblick auf die unbewohnte und namensgebende Insel Piperi – die Fenster rahmen ihn entsprechend. Die exakte Ausrichtung des Hauses auf die Insel hat Larsen in der frühen Bauphase genauestens geprüft. Die Villa Malaparte auf Capri, die auf dem gigantischen Felsen Punta del Massullo steht und fast darin versinkt, stand Patin für die Idee der Rahmung des Blicks. Ihre auffallend kleinen Fenster zerlegen die sie umgebende Natur in einzelne Ausschnitte, die wie gemalt und durch die Architektur gerahmt erscheinen.
Architektur und Objekt
© Sigurd Larsen
„Der Stein wird überall auf der Insel verwendet, in den Dörfern und ihren Gassen. Seine rostigen Eigenschaften passen perfekt zu den Bronze-Türklinken. Die salzige, feuchte Luft fördert die Patina und lässt die Oberflächen natürlich altern. Die Idee ist, mit den Elementen zu arbeiten und nicht gegen sie.“
- Sigurd Larsen
Um die vernakuläre Architektur zu studieren, besuchte Larsen kykladische Dörfer, Kirchen und Klöster, wobei nicht nur die Prinzipien weißer kubischer Strukturen mit kleinen Fenstern auffielen, sondern auch der geradezu exzessive Einsatz von Treppen. Und obwohl die Kykladen einige der strengsten Bauvorschriften Europas haben – die Proportionen der Fenster sind streng geregelt, Schiebetüren sind untersagt, Türen müssen nach innen und die hölzernen Türläden nach außen öffnen, gibt es erstaunlicherweise keine Vorschriften für Treppen.
Das Motiv des 90-Grad-Winkels aufgreifend, spiegeln sich die Stufen der Außentreppen im Inneren des Hauses. Die Räume im Inneren des Hauses sind durch einen Rundgang an Treppen verbunden, der sich mit dem Rundgang im Außenbereich überschneidet, sodass man sich in einer Endlosschleife durch Innen- und Außenraum und gleichermaßen über alle vier Ebenen des Hauses bewegen kann.
Die Treppen strukturieren den Grundriss entscheidend und werden zu einer Art architektonischem Leitmotiv des Piperi House. Larsen bezieht sich hierbei auf M. C. Escher. Doch während Eschers Treppen perspektivisch unmöglich sind, überträgt Larsen das Motiv auf die kontinuierliche Bewegung durch den Raum, was dazu anregt, zu allen möglichen Tageszeiten alle Winkel des Hauses zu erkunden.
Larsens Idee, mit dem wandernden Tageslicht zu arbeiten, wurde durch den dänischen Architekten Jørn Utzon geprägt. Seine Häuser Can Lis und Can Feliz auf Mallorca sind Architekturikonen, denen ebendiese Wanderung des Sonnenlichts zugrunde liegt. Scheint die Abendsonne in die Küche von Piperi House, muss man anfangen zu kochen, wenn man bei Sonnenuntergang auf der Terrasse zu Abend essen will, so Larsen.
Dadurch dass jedes Zimmer eine Tür oder ein Fenster mit Fliegengitter hat, das immer geöffnet bleiben kann, wird ein konstanter Luftstrom garantiert und so werden die Räume natürlich belüftet. Durch die Oberlichter fällt außerdem warmes Sonnenlicht auf die weißen Wände und in den reduziert, aber wohnlich gestalteten Raum.
Der dunkle Naturstein, der als Mosaik gesetzt im Innen- sowie Außenbereich Verwendung findet, stammt von der Insel und hat die praktische Eigenschaft, nicht im Sonnenschein zu überhitzen, sodass er auch außen barfuß begehbar ist. Er weist Eisenschichten auf, die den Stein, wenn man ihn in eine Richtung schneidet, bläulich oder, in die andere Richtung geschnitten, bräunlich erscheinen lassen.
Fotos © Ana Santl
Verbaut wurden die Türdrücker der Produktfamilie FSB 1267, nach Entwürfen von Ludwig Mies van der Rohe, in dunkel patinierter Bronze, die durch die hohe Luftfeuchtigkeit oxidiert und sich so analog zu den lebhaften Eisenschichten des Natursteins verhält. Anstatt gegen die Elemente zu kämpfen, arbeitet man mit ihnen, so der Architekt.
Die Kykladeninseln sind für ihre raue, felsige Landschaft bekannt, in der es hauptsächlich Sträucher und nur wenige Bäume gibt. Im Winter ist Kythnos üppig und grün, voller bunter Blumen und Düfte, im Sommer verdorren sie und gehen in gelbe und salbeigrüne Farbtöne über. Die wunderbar melancholische Atmosphäre erinnere ein wenig an die Bilder von Leonard Cohen, der in den 1960er-Jahren auf Hydra lebte, sagt Larsen.
Anders als das heutige Hydra bietet Kythnos jedoch immer noch genug Platz, besonders wenn es darum geht, einen der vielen Strände ganz für sich allein zu haben.
Die Ruine einer Steinscheune nahe dem Piperi House wird derzeit in ein Gästehaus mit Außenküche, -dusche und einer Pergola, wie sie für griechische Landhäuser charakteristisch ist, umgebaut. Sie unterstreicht, was dem Haupthaus bereits innewohnt: Nichts hier ist nicht direkt von der Natur beeinflusst. Zwei Treppen laden dazu ein, die beiden Dächer des Hauses zu begehen.
Den starken Winden und der heißen Sonne ausgesetzt, wird einem bewusst, wie geschickt Larsen die Kuben gestaffelt hat, um immer einen Zufluchtsort im Schatten oder Windschatten bereitzuhalten. Nachdem man jeden Winkel des Hauses begangen und zuletzt auch seine Dächer erklommen hat, bleibt das seltene und schöne Gefühl, die Architektur dieses Hauses verstanden und sie effektiv durchlebt zu haben.